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Kommentar Aufstand in ArabienDie Diktatorendämmerung

Kommentar von Georg Baltissen

Für die autoritär-diktatorischen Regime in der arabischen Region läuft die Zeit ab. Die gesamte arabische Welt steht vor einem historischen Wandel.

D er tunesische Funke der Rebellion hat ganz Arabien erfasst. Und die Idee der Freiheit und der Würde, die diese Rebellion getragen hat, hat sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Gewiss hat es in der arabischen Welt in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Hungeraufstände und politische Rebellionen gegeben. Und immer wurden sie niederkartätscht von einer skrupellosen Soldateska, die Arabiens Herrschern auch deshalb bedenkenlos zu Willen war, weil es nie zuvor gelungen war, auch nur einen dieser Autokraten vom Thron zu stürzen.

Tunesien war ohne Zweifel das schwächste Glied in der Kette der autoritär-diktatorischen Regime in der arabischen Welt. Hier konnte die Revolte einen überaus schnellen Erfolg verbuchen, weil die Armee sich weigerte, auf das eigene Volk zu schießen. In Kairo oder Sanaa, Amman oder Algier ist die Armee noch in Wartestellung, der unmittelbare Ausgang der Proteste auf den Straßen Arabiens noch unentschieden.

Und doch ist in den Palästen und Festungen dieser Usurpatoren der Macht längst der innere und äußere Ausnahmezustand eingezogen. Jetzt zittern die Mächtigen, während das Volk die Furcht verloren hat.

Vielleicht wird Muammar al-Gaddafi in Libyen länger an der Macht bleiben als Husni Mubarak in Ägypten, Bashir al-Assad in Syrien länger als Ali Abdullah Saleh im Jemen. Aber für sie alle gilt: Ihre Zeit läuft ab. Ein tiefer historischer Wandel, wie er jetzt wieder ansteht, hat in Arabien immer die gesamte Region erfasst.

privat

Georg Baltissen ist Redakteur im Auslands-Ressort der taz.

Das zeigen der Aufstand gegen die osmanische Besatzung während des Ersten Weltkriegs, die Unabhängigkeit und der demokratische Wandel während und nach dem Zweiten Weltkrieg und die Machtübernahme durch nationalistische und diktatorische Militärs in den 1950er Jahren.

Auch die jetzige Rebellion wird in einem überschaubaren Zeitraum ein neues Arabien hervorbringen. Dieser Prozess wird in den einzelnen Staaten unterschiedlich ablaufen, es kann herbe Rückschläge geben. Sicher ist: Arabiens Diktaturen haben in den Augen ihrer "Untertanen" jede Legitimation für ihre Herrschaft verloren. Sie stehen nackt da, ein Gespött der Geschichte.

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Auslandsredakteur
61, ist Redakteur im Ausland und gelegentlich Chef vom Dienst. Er arbeitet seit 1995 bei der taz, für die er schon in den 80iger Jahren geschrieben hat. Derzeit ist er zuständig für die Europäische Union und Westeuropa. Vor seiner langjährigen Tätigkeit als Blattmacher und Titelredakteur war Georg Baltissen Korrespondent in Jerusalem. Noch heute arbeitet er deshalb als Reisebegleiter für die taz-Reisen in die Palästinensische Zivilgesellschaft. In den 90iger Jahren berichtete er zudem von den Demonstrationen der Zajedno-Opposition in Belgrad. Er gehörte zur ersten Gruppe von Journalisten, die nach dem Massaker von 1995 Srebrenica besuchte.
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9 Kommentare

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  • R
    romek

    hey max lewien....klar, an all dem leiden der arabischen völker sind die usa,eu + israelis schuld... das ist doch genau das was der arabischen welt den blick auf eigene verantwortung+ initiativen verstellt. man muss gar nicht mal israelfreundlich sein um sich zu fragen mit wem von den palästinensern denn über land,frieden ect. verhandelt werden soll. mit der korrupten fatah? warum leben die meisten palästinenser nach 60 jahren noch immer in flüchtlingslagern,obwohl sie die volksgruppe sind die von der un/dem "westen" die meisten hilfsgelder bekommen hat? wo ist denn all die kohle, etwa doch bei den parteifunktionären?mit den arabischem ländern die selbst interessen in der region haben? oder doch mit der hamas ....?kauft für all das gewissensgeld das die anderen arabischen "brüder" spenden damit sie ruhig schlafen können zumeist waffen und ist mehr mit der immer wieder erklärten vernichtung israels beschäftigt als der verantwortung für die eigenen leute... machs dir nicht so einfach, die mär vom armen opfervolk ist lang gegessen.in der arabischen welt gibts könige,gewählte+ selbsternannte präsidenten, brutalste diktatoren, schiiten +sunniten die sich seit jahrhunderten wegen des "wahren" glaubens die hälse durchschneiden,unfassbar reiche länder die sich ihre städte von modernen sklaven bauen lassen, religionsgelehrte die eine faschistoide version des koran hochhalten und die leute am denken hindert...ect.ect. und an all dem soll immer nur der "westen "schuld sein? ich hatte des öfteren das vergnügen in arabischen ländern zu sein, auch im damals noch nord jemen, wo seither bestimmt nichts besser geworden ist, und wer im zusammmenhang mit speziell diesen ländern das wort "demokratie" gebraucht ist in meinen augen ein träumer....

  • H
    hto

    "Demokratie" in diesen Ländern kann nur scheitern, weil die Wahrheit dann schneller deutlich werden muß und in vermehrter Gewalt ... - im Grunde müßten wir auch auf die Straße gehen, für eine Veränderung die den Menschen dort eine echte Perspektive geben würde, doch leider ist die konfusionierte Bewußtseinsbetäubung das höchste Gut unserer multischizophrenen Vorstellung von Welt- und "Werteordnung"!!!

  • ML
    Max Lewien

    Hauptgrund für die Existenz schlimmer arabischer Diktatoren ist deren bisherige offene Unterstützung durch die Machteliten der USA,der EU und besonders Israels.

    Die genannten Mächte halten besonders Israel zuliebe Großverbrecher wie Mubarak an der Macht. Ohne die wüste israelische Besatzung und Behandlung des apalästinensischen Volkes könnte Freundschaft zwischen den Arabern und wohlmeinenden Israelis bestehen. Zudem wäre ohne Israels Neokolonialismus auch ein Schreihals wie Achmadinedschad kaum denkbar.

    Erst wenn Israel mit den Palästinensern einen echten substantiellen Wiedergutmachungsfrieden schließt,umfassend Landrückgabe, materielle-finanzielle Wiedergutmachung und Einräumung eines bedingungslosen Rückkehrrechts für palästinensische Flüchtlinge samt einer ernst gemeinten Anerkennung der israelischen Schuld am palästinensischen Volk entfällt für die verlogenen westlichen Machteliten ihr Hauptlegitimationsgrund, Großverbrecher wie Ben-Ali und Mubarak müßten letztlich Israels wegen unterstützt werden.

    Auch den Islamisten würde damit ein Hauptmotiv ihres Kampfes gegen den Westimperialismus entzogen.

  • H
    Hannes

    Ich denke, dass hier eine historische Zäsur für die konkreten Personen, Regime, Parteien und Kräfte bevorsteht. Was allerdings auf das Ende des einen oder anderen Diktatoren/Führer/Präsidenten passieren wird, das ist - leider - sehr offen.

    Der Punkt ist einfach: Aus welcher sozial-ökonomischen Struktur bildet sich das politische Machgefüge auf und welche Veränderungen sind dort zu erwarten, bzw. wahrscheinlich?

     

    Die Antwort ist offen, aber es ist klar, dass die fundamentalen sozio-ökonomischen Strukturen dieser Staaten sich nicht durch Demonstrationen und Protest ändern lassen. Dafür sind lange Prozesse erfordelich - Prozesse, die sehr geordnet, debatiert und klar formuliert ablaufen müssen. Aus der Stunde des Protests kann das nicht stattfinden.

    Aber es kann hier anfangen und das könnte wichtig sein, weil die Diktaturen der Region fast ausnahmslos auf Geheimdiensten, Polizei, Armee und politische Gerichtsverfahren fussen. Sollte diese Struktur gebrochen werden - es würde andere Prozesse öffnen.

  • E
    end.the.occupation.70

    Ist das auch in unserem => dem amerikanischen => dem israelischen => in unserem Interesse?

     

    Man kann doch schon die Hämmer hören - die eine "Achse" der Diktaturen und Unterdrücker zusammenschmieden. Eine Achse aus Iran, Saudi-Arabien, Israel, Syrien und Libyen - den natürlichen Verbündeten im Nahen Osten,

     

    Ob das Werk gelingt? Ich hoffe nicht,

  • H
    hto

    Die Dämmerung der Diktatur des Kapitals - Es mag eine "logische" Folge der Globalisierung sein, aber wenn all die armen Länder nun "Demokratie" nach westlichem Beispiel bekommen, dann zieht euch warm an ihr viel bejammerten Mittelständler und ..., der "freiheitliche" Wettbewerb wächst im "gesunden" Konkurrenzdenken.

  • DS
    Der Südländer

    Ich hätte nie gedacht, dass ich einem Kriegsverbrecher mal zustimme, aber der Gschorche DoubleVe hatte Recht...

     

    Wenn der Irak fällt, werden die Diktaturen, gemäß der Dominotheorie, verschwinden...

     

    Dumm nur, dass erst die eigenen Verbündeten erwischt.

     

    Tja, man sollte sich halt wirklich genau überlegen, was man sich wünscht. Es könnte in Erfüllung gehen!

  • C
    Chris

    Nach dem II. Weltkrieg sind die europäischen Kolonien im Nahen und Mittleren Osten zusammengebrochen. Danach haben in diesen Ländern Monarchen und Diktatoren, mit westlicher Unterstützung, die Macht übernommen. Heute erleben wir den Zusammensturz der diktatorischen Regime.

     

    Es ist falsch von "den" Arabern zu sprechen, da es sich um verschiedene Völker handelt. So sehen Saudis, Ägypter, Marokkaner und Libanesen jeweils anders aus, sie verbindet einzig die arabische Sprache, die sich aber durch die regionalen Akzente immer mehr verfremdet.

  • M
    merte

    Ist es nicht das, was eintreten musste nach dem Entwicklungssprung durch Alphabetisierung und Öffnung zur aufgeklärten Welt.

    Mit 220 Jahren Verspätung entledigt sich der Orient der feudalen Herrschaft und nähert sich dem Weltgeschehen mit etwas Verspätung, aber immerhin.

    Die Gefahr, das nun Gottesstaaten die Oberhand gewinnen, und ein islamisches Reich das den sog. islamischen Halbmond umfasst,ist gegeben, kann allerdings weder im europäischen, noch im Sinne der Großmächte sein.

    Die Neuaufteilung der Macht ist im vollen Gange, wer werden die Gewinner sein, wer die Verlierer.

    merte