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Kommentar Attac-GeburtstagZeit für die nächste Stufe

Reiner Metzger
Kommentar von Reiner Metzger

Attac wird zehn. Doch die NGO muss kämpfen, wenn sie ihren Erfolg überleben will.

Als Attac vor zehn Jahren entstand, war das wie Weihnachten: eine Organisation, die linke Politprofis wie Wissenschaftler einband; ein basisdemokratisches und medienwirksames Netzwerk, das neue Gesichter und gute Argumente in die Abendnachrichten und Talkshows brachte. Endlich gab es eine Bewegung, die sich unser Wirtschaftssystem vornahm. Endlich kümmerte sich jemand um die Finanzabzocker und die Milliardenschäden, die sie weltweit anrichteten. Mit den Protesten gegen die rot-grüne Agenda 2010 kamen dann auch einige wichtige Gewerkschaften mit ins Boot, daneben entstand eine weitere linke Partei.

Als die Finanzkrise kam, hatte Attac die Sprache für den Politikwechsel vorgegeben. Neoliberale Schlagwörter wie "mehr Privatisierung", "Flexibilisierung" oder "Nachtwächterstaat" sind seitdem out. Heute klingen die Bekenntnisse der meisten Politiker so, als würden sie direkt aus Attac-Gründungstexten stammen. Doch sie handeln nicht danach, die Kanzlerinnen und Finanzminister dieser Welt. Die globale Finanzmaschine wird kaum behelligt, bestenfalls mit ein paar Reförmchen an der Oberfläche poliert.

Bild: taz

Reiner Metzger ist stellvertretender Chefredakteur der taz.

Attac muss kämpfen, will es den eigenen Erfolg überleben. Denn die öffentliche Debatte verlangt ständig neues, originelles Futter. Darauf muss sich Attac einstellen, sonst wird seine Bedeutung weiter sinken. Leicht ist das nicht, denn seine Wucht bezog der Verbund nicht zuletzt aus seiner Verbindung mit vielen Basisgruppen. Eine solche Basisstruktur kann aber schwerlich eine hochspezialisierte, professionelle Struktur tragen und bezahlen, wie sie eine vergleichbare Organisation wie Greenpeace unterhält. Profis braucht man aber, will man den Beschwichtigern aus Politik und Banken in den Medien schnell und entschieden entgegentreten.

Attac könnte sich entscheiden, die tägliche Lobbyarbeit anderen zu überlassen - den Grünen, den Gewerkschaften, der Linkspartei. Stattdessen bliebe, die nächste Stufe in der Aufklärungsarbeit zu erklimmen und von der Kritik an der Art der Globalisierung zu einer Kritik am Wirtschaftssystem selbst zu kommen. Das birgt das Risiko, die Basis zu verkleinern und die Mitte der Gesellschaft zu verschrecken. Überzeugende Alternativen zum Kapitalismus von heute sind für viele bislang nicht einmal denkbar. Aber schien nicht der Neoliberalismus vor zehn Jahren auch unüberwindbar?

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Reiner Metzger
Leiter Wochenendtaz
Reiner Metzger, geboren 1964, leitet taz am Wochenende zusammen mit Felix Zimmermann. In den Bereichen Politik, Gesellschaft und Sachkunde werden die Themen der vergangenen Woche analysiert und die Themen der kommenden Woche für die Leser idealerweise so vorbereitet, dass sie schon mal wissen, was an Wichtigem auf sie zukommt. Oder einfach Liebens-, Hassens- und Bedenkenswertes gedruckt. Von 2004 bis 2014 war er in der taz-Chefredaktion.
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4 Kommentare

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  • A
    at.engel

    Alles ändert sich... und nichts hat sich geändert... Wenn die ganze Poltik der letzten 15 Monate überhaupt irgendwo einen Sinn gahabt haben soll, dann doch wohl den, dass alles so weitergehen soll wie bisher; und das tut es ja auch. Natürlich hat sich der öffentliche Diskurs ein wenig geändert - aber was wurde wirklich geändert, was wurde wirklich aus der Krise gelernt - nichts, aber schon rein gar nichts.

    Der Turbokapitalismus läuft schon wieder auf Hochtouren (siehe Goldman Sachs) - und wird wahrscheinlich demnächst, führer- und haltlos wie er ist, die Gesellschaft mit Vollgas in die nächste Krise fahren. Und Merkel, Brown, Sarkozy und Co. sollen dann ja nicht sagen, dass sie das so nicht gewollt haben...

    Die letze Krise war hart - die nächste wird bitter. Und was dann aus Attac oder der NPA (Nouveau Parti Anti-capitaliste)in Frankreich wird, ist wahrscheinlich auch egal. Die Kommentare unserer Ökonomen und Journalisten wird man sich dann aber auch sparen können.

  • LW
    L.A. WOMAN

    Voller Hoffnung auf Leute, die auch innovativ kritisieren können, habe ich an einem internationalen attac-Kongress teilgenommen..

    und wurde geradezu überrollt von mehrheitlich fast fundi-christlichen

    Wortführern, ausgenommen Sven Giegold, der angenehm sachlich und auch kenntnisreich argumentieren konnte...

    Der ist leider weg, und seitdem drehen die sich im kreis und es fehlt die 'Zündung'.

    Von einem tollen Berliner attacProjekt für Frauen (hörte ich von einer Grünen-Frau), die engagiert arbeiten, wird nichts gebracht, man hört darüber in der Presse nichts, und das liegt nicht an den Medien.

    Offensichtlich haben auch in der attac Zentrale die Männer das Sagen.

  • H
    hto

    "Heute klingen die Bekenntnisse der meisten Politiker so, als würden sie direkt aus Attac-Gründungstexten stammen. Doch sie handeln nicht danach, ..."

     

    Ich hab schon zur Gründungszeit von Attac erkannt: "Nichts neues im Westen", nur blödsinnige Sprüche und stumpfsinniges Herumdoktern an den Symptomen des "freiheitlichen" Wettbewerbs, eben die gewohnte Überproduktion von systemrationalem Kommunikationsmüll, in gebildeter Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche. Und als dann auch noch Mitglieder der CDU Attac für sich entdeckten, ... - "Als Mensch anfing seine Toten zu bestatten, wurde er zum Mensch. Aber als er anfing auch daraus ein Geschäft zu machen, war seine Entwicklung ..."!?

  • RK
    Rüdiger Kalupner

    "... zu einer Kritik am Wirtschaftssystem selbst zu kommen... birgt das Risiko, die Basis zu verkleinern und die Mitte der Gesellschaft zu verschrecken. Überzeugende Alternativen zum Kapitalismus von heute sind für viele bislang nicht einmal denkbar. "

     

    Überzeugende Alternativen zum K sind für attac nicht nur 'nicht einmal denkbar', sondern gar nicht gewollt. Fakt ist, dass das hinreichende Steuerungssystem- und Evolutionsprojektwissen über die folgende post-kapitalistische Gesellschaftsordnung

     

    (= Weltordnung des KREATIVEN Akzelerationswegs, d.h. einer machtsystemfreien Gesellschaft allseits sich entwickelnder Menschen)

     

    vorhanden ist, dass der Wissenschaftliche Beirat von attac über die EPIKUR-Projektinhalte beraten hat und es gegen eine Stimme in den Papierkorb getan hat. Und warum dies? Weil die dialektische Synthese über die gewachsenen These-Antithese-Kampforganisationen nicht gewollt ist. Wer will schon attac, SPD, GRÜNE und die jetzige Gewerkschaftsmacht auf seine KREATIVEN Systembestandteile reduzieren? Wer will die Existenzfrage an diese Organisationen stellen? Die Unterstützung durch die IGM hat attac nur bekommen, weil die attac-Gremien die evolutionsprozess-logische Synthese, die 'erfolgreiche Alternative', das EPIKUR-Projektwissen verwarf und totschweigen läßt. Deshalb wird die attac-Führung auch in Zukunft keine Systemalternative entwickeln. Wetten, Herr Metzger?

     

    Karl Marx, Ernst Bloch und Rudi Dutschke hätten übsrigens an dem Verhalten der Synthese-Verweigerer auf der Seite der LINKEN ihre Freude. Sie verhalten sich nämlich ganz materialistisch, d.h. wie herrschende Kapitalisten, wie die Klasse der Macht- und Organisationsbewahrer - wie ganz normale Profitmaximierer.

     

    So sucht sich also das DIALEKTISCH NEUE, die Macht des NOCH-NICHT seine Träger, seine NEUE revolutionäre Gruppe. Denn eines ist für alle neuen LINKEN und alle KREATIVEN klar: ohne eine geniale Revolution wird es keinen Exodus aus der Tyrannei der 2%Wachstumszwang-via-Kapitalstockmaximiererei geben.