Kommentar Attac-Geburtstag: Zeit für die nächste Stufe
Attac wird zehn. Doch die NGO muss kämpfen, wenn sie ihren Erfolg überleben will.
Als Attac vor zehn Jahren entstand, war das wie Weihnachten: eine Organisation, die linke Politprofis wie Wissenschaftler einband; ein basisdemokratisches und medienwirksames Netzwerk, das neue Gesichter und gute Argumente in die Abendnachrichten und Talkshows brachte. Endlich gab es eine Bewegung, die sich unser Wirtschaftssystem vornahm. Endlich kümmerte sich jemand um die Finanzabzocker und die Milliardenschäden, die sie weltweit anrichteten. Mit den Protesten gegen die rot-grüne Agenda 2010 kamen dann auch einige wichtige Gewerkschaften mit ins Boot, daneben entstand eine weitere linke Partei.
Als die Finanzkrise kam, hatte Attac die Sprache für den Politikwechsel vorgegeben. Neoliberale Schlagwörter wie "mehr Privatisierung", "Flexibilisierung" oder "Nachtwächterstaat" sind seitdem out. Heute klingen die Bekenntnisse der meisten Politiker so, als würden sie direkt aus Attac-Gründungstexten stammen. Doch sie handeln nicht danach, die Kanzlerinnen und Finanzminister dieser Welt. Die globale Finanzmaschine wird kaum behelligt, bestenfalls mit ein paar Reförmchen an der Oberfläche poliert.
Attac muss kämpfen, will es den eigenen Erfolg überleben. Denn die öffentliche Debatte verlangt ständig neues, originelles Futter. Darauf muss sich Attac einstellen, sonst wird seine Bedeutung weiter sinken. Leicht ist das nicht, denn seine Wucht bezog der Verbund nicht zuletzt aus seiner Verbindung mit vielen Basisgruppen. Eine solche Basisstruktur kann aber schwerlich eine hochspezialisierte, professionelle Struktur tragen und bezahlen, wie sie eine vergleichbare Organisation wie Greenpeace unterhält. Profis braucht man aber, will man den Beschwichtigern aus Politik und Banken in den Medien schnell und entschieden entgegentreten.
Attac könnte sich entscheiden, die tägliche Lobbyarbeit anderen zu überlassen - den Grünen, den Gewerkschaften, der Linkspartei. Stattdessen bliebe, die nächste Stufe in der Aufklärungsarbeit zu erklimmen und von der Kritik an der Art der Globalisierung zu einer Kritik am Wirtschaftssystem selbst zu kommen. Das birgt das Risiko, die Basis zu verkleinern und die Mitte der Gesellschaft zu verschrecken. Überzeugende Alternativen zum Kapitalismus von heute sind für viele bislang nicht einmal denkbar. Aber schien nicht der Neoliberalismus vor zehn Jahren auch unüberwindbar?
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