piwik no script img

Kommentar AtomlobbyWarum wir's ganz genau wissen wollen

Reiner Metzger
Kommentar von Reiner Metzger

Die Dokumente der Atomlobby, die die taz veröffentlicht, ermöglichen es, ganz genau nachzuvollziehen, wie der Polit-PR-Betrieb funktioniert.

G eneralstabsmäßig eine Kampagne planen, um vor dem Bundestagswahlkampf den Boden für lukrative Gesetze zu bereiten - das mag im vorliegenden Fall der Laufzeiten für Atomkraftwerke die Anti-Atom-Leute empören. Immerhin wurde 2009 die Stimmung in der Bevölkerung so weit bearbeitet, dass die neue Bundesregierung aus Union und FDP die Laufzeiten der deutschen AKWs deutlich verlängern konnte.

Doch im Nachweis, dass es eine solche Kampagne gegeben hat, liegt gar nicht in erster Linie der Wert der nun veröffentlichten Recherche. Wertvoll wird sie vor allem durch die darin enthaltene demokratiepraktische Komponente.

Lobby gehört zur Demokratie, und jeder weiß, dass eine Großbranche wie die der Energieversorger auf allen Ebenen für ihren Vorteil arbeitet. Nun hat man es aber einmal genau: Wer genau wird in Marsch gesetzt für das öffentliche Armdrücken, wer plant wann, wie teuer ist so etwas.

taz
REINER METZGER

ist stellvertretender Chefredakteur der taz.

Die Sache geht also vom verschwörungstheoretisch angehauchten Allgemeinwissen in den schönen Bereich des konkret Belegten über. Man kann zitieren, nachbohren und hat Beobachtungskriterien für ähnliche Themen in der Zukunft. Es ist sehr nützlich, Punkt für Punkt zu erfahren, wie der Polit-PR-Betrieb funktioniert und wer auf welcher Seite steht.

Es gibt noch viele Bereiche, wo wir gern konkreter wissen würden, ob und wie dort Stimmungen beeinflusst wurden. Immerhin hat die Atomindustrie mit ein paar lumpigen Millionen Euro Kampagnengeld milliardenschwere Vergünstigungen für sich herausgeholt. Da braucht es noch allerhand Enthüllungen, um solche Attacken schwieriger zu machen.

Ein Tröstliches zeigt die Laufzeitverlängerung allerdings auch: Die Lobbyarbeit wirkte 2008/2009, weil die Bevölkerung verunsichert war, ob nun Treibhauseffekt oder AKW das kleinere Übel wäre. Mit der Atomkatastrophe in Japan kippte die Stimmung so schnell, dass die Regierung unter dem großen Druck die Laufzeiten dramatisch verkürzte. Die Tatsachen waren stärker als jede PR-Kampagne.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Reiner Metzger
Leiter Wochenendtaz
Reiner Metzger, geboren 1964, leitet taz am Wochenende zusammen mit Felix Zimmermann. In den Bereichen Politik, Gesellschaft und Sachkunde werden die Themen der vergangenen Woche analysiert und die Themen der kommenden Woche für die Leser idealerweise so vorbereitet, dass sie schon mal wissen, was an Wichtigem auf sie zukommt. Oder einfach Liebens-, Hassens- und Bedenkenswertes gedruckt. Von 2004 bis 2014 war er in der taz-Chefredaktion.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • JG
    Jörn Gutbier

    Fragt sich noch, ob diese hervorragende Veröffentlichung vorrangig auf die Recherchefähigkeiten und die Verbindungen der TAZ-Journalisten zurückzuführen ist oder nur deswegen zustande gekommen ist, weil es einen Whistleblower gab der die Papiere zur Weiterverarbeitung nur einfach auf den TAZ-Tisch gelegt hat?

     

    Perfider wäre die Variante, das die Agentur Deekeling-Arndt die Papiere gezielt veröffentlicht hat. "Tu ´Gutes` und sprich darüber! Bei so viel Erfolg muss die Öffentlichkeit doch wissen, dass wir es können."

     

    Hoffentlich passiert Gleiches bald mal im Bereich der Politik um die nicht-ionisierende Strahlung - den Mobilfunk. Hier geht es nicht nur ums Geld und die Wahrscheinlichkeit eines Desasters, sondern dieses Desaster der schleichenden Zerstörung von Menschen, Flora und Fauna findet hierbei immer tagtäglich und überall in Echtzeit statt. Ohne Altersbeschränkung dürfen - und teils sollen - sich Kinder einen toxischen Mikrowellenstrahler an den Kopf halten – darauf muss man erst mal kommen!!! Ein Rauchgebot für 6 Jährige könnte ein Äquivalent sein?

    Die politisch-wirtschaftlichen Perversionen in diesem Bereich - wider besseren Wissen - und die fast vollständige lobbyistische Durchdringung unserer Gesellschaft mit dieser Technologie - die fast jeder liebt - bis hinein in jede Familie und Nachbarschaft - lassen diese erfolgreiche ´Laufzeitverlängerungs- und Akzeptanzkampagne` als eine Fingerübung erscheinen.

  • M
    Martina

    Vor kurzem kam auf Phoenix eine Dokumentation über die Arbeit von Bundes- und Landtagsabgeordneten.

    Die Doku berichtete über einen Blumenhändler, welcher mit dicken Blumensträußen von einem Abgeordnetem zum anderen tingelte, um steuerliche Entlastungen für seine "Innung" zu erreichen.

    Eine CDU-Abgeordnete freute sich sichtbar über den üppigen Strauß und erklärte dem Reporter hinterher, "daß die Lobbyisten zur Demokratie gehörten und unabdingbar seien, denn sonst wüssten die Abgeordneten ja gar nicht, was die Wirtschaft bräuchte, und daß dieser Vorgang ganz normal sei".

    Ich war über diese Aussage zutiefst erschrocken und empfinde die Entgegennahme von noch so kleinen Geschenken an Politiker als Korruption, und direkte Beeinflußung von Abgeordneten.

    Mit welchen Geschenken an die MdB´s und MdL´s die Atomlobbyisten wohl vorsprechen?

    Die einzigen, die nicht Vorsprache im Abgeordnetenbüro halten sind die kleinen Arbeitermännlein, welche von früh bis spät für einen geringen Lohn buckeln, und so erschöpft nach Hause kommen, dass sie sich kaum eine vernünftige Mahlzeit kochen können, geschweige denn einen Haushalt führen.

    Da hilft auch keine Gewerkschaft, deren Beiträge blutsaugerische 1% vom Bruttolohn sind.

    Im Kommentar von Robert Voss, TAZ vom 31.10.2011, steht deshalb ganz richtig, dass Lobbyismus eben nicht zur Demokratie gehört!

  • B
    bobinbrooks

    Die nächste Stoßrichtung ist doch schon vorgegeben:

     

    Der Strom wird deutlich teurer werden, jetzt wo der schöne preiswerte Atomstrom nicht mehr verfügbar ist.

  • V
    vic

    Da geht noch was für die Atomindustrie. Denn allzu viele Verbraucher glauben immer noch an die Mär mit der Stromlücke und der Alternativlosigkeitvon AKWs.

    Und unverständlich viele beziehen ihren Strom noch immer von einem der vier Atom und Fossil-Monopolisten.

    Entweder direkt, oder über ihre regionalen Stadtwerke.

    Ich sage, das unwiderrufliche Ende der Atomkraftwerke im Jahr 2022 wird nicht stattfinden. Man bedenke: Das war ein polittaktisches Versprechen. Und man bedenke, wessen Mund es entsprang.