Kommentar Atomkraftwerke: Der Ernstfall ist eingetreten
Alte Atomkraftwerke dürfen laut Urteil stillgelegt werden. Jetzt müssen die Politker zeigen, dass ihnen die Grundrechte wichtiger sind als Profit.
W enn es darum ging, mit Verweis auf mögliche Terrorangriffe unsere Grundrechte oder den Datenschutz zu beschneiden, war die Bundesregierung bislang schnell bei der Sache. Geht es hingegen darum, uns vor möglichen Terrorattacken auf Atomkraftwerke zu schützen, legt sie deutlich weniger Eile an den Tag: Obwohl klar ist, dass viele Reaktoren nicht mal den Absturz einer leichten Maschine überstehen würden, ist seit 2001 nichts passiert. Dabei liegt etwa das AKW Biblis ganze 40 Flugsekunden vom Flughafen Frankfurt entfernt.
Malte Kreutzfeldt ist Leiter des taz-Ressorts Wirtschaft und Umwelt.
Bisher beließ Umweltminister Sigmar Gabriel es bei Appellen an die Betreiber, unsichere Kraftwerke doch bitte schön freiwillig früher vom Netz zu nehmen. Die Energiekonzerne machen aber das Gegenteil: Durch überlange Revisionen und gedrosselte Leistung versuchen sie, diese über die Bundestagswahl zu retten - in der Hoffnung, dass der Atomausstieg dann revidiert wird.
Nun hat das oberste Verwaltungsgericht der Politik ein scharfes Schwert in die Hand gegeben: Es hat den Schutz gegen Terrorattacken zur Aufgabe der Betreiber erklärt und die Politik faktisch ermächtigt, ältere AKWs stillzulegen - denn eine Nachrüstung würde sich dort niemals lohnen.
Jetzt kann der SPD-Umweltminister endlich beweisen, wie ernst es ihm mit seiner Kritik an den alten, unsicheren Reaktoren ist. Das Urteil gibt ihm nicht nur die Möglichkeit, zu verhindern, dass die Industrie den Atomkonsens bricht. Er kann sie sogar dazu zwingen, umstrittene Meiler früher als bisher geplant abzuschalten.
Auch die Kabinettskollegen von der Union dürften sich dem eigentlich nicht widersetzen - schließlich sind Innenminister Schäuble und Verteidigungsminister Jung diejenigen, die stets am lautesten vor möglichen Terrorangriffen warnen. Wenn sie Vorratsdatenspeicherung und Bundeswehreinsätze im Innern für notwendig halten, den Schutz von Atomreaktoren aber nicht, wäre diese Doppelmoral nur schwer vermittelbar. Sie würde beweisen, dass die Profit-Rechte von Konzernen im Zweifel mehr zählen als die Grundrechte von BürgerInnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?