Kommentar Atomkraft in Deutschland: Unkalkulierbare Gefahr vor der Haustür
Angeblich waren nur die Schrottmeiler im ehemaligen Ostblock gefährlich. Doch Japan beweist das Gegenteil. Die Argumente der Atomlobby sind auf einmal ziemlich lahm.
J enseits aller ideologischen Graben- und Straßenkämpfe lautete das Hauptargument gegen die "friedliche" Nutzung der Atomkraft hierzulande bislang, dass die Entsorgungsfrage ungelöst sei: Wer nicht weiß, wohin mit dem Strahlenmüll, darf ihn nicht produzieren.
Doch die Katastrophe in Japan lehrt, dass auch der Normalbetrieb von AKWs, die in stabilen Staaten von qualifiziertem Personal gut gewartet werden, im Desaster enden kann. Um diese Einsicht haben sich Wirtschaft und Politik lange gedrückt.
Angeblich ging die Gefahr bloß von Schrottmeilern im ehemaligen Ostblock aus - wobei stets gern verdrängt wurde, dass auch Schweden, Frankreich oder die USA immer mal wieder knapp am Super-GAU vorbeischrammten. Das Fanal von Fukushima hat nun deutlich gemacht: Es gibt Situationen, in denen auch dreifache Sicherungssysteme versagen. Dann schlägt das Restrisiko voll durch.
BERNHARD PÖTTER ist Leiter des Ressorts Wirtschaft und Umwelt der taz.
Dabei geht es nicht um die lahme Verteidigung der Atomlobby, in Deutschland seien schwere Erdbeben und Tsunamis nicht an der Tagesordnung. Wenn durch die Verkettung schwerer Unfälle und dummer Zufälle in einem deutschen AKW für längere Zeit der Strom ausfällt, wenn die Zugangswege blockiert sind oder die Leitstelle etwa durch einen Flugzeugabsturz zerstört wird, dann laufen auch deutsche Reaktoren heiß. Da hilft auch das schönste TÜV-Siegel nichts.
Norbert Röttgen, Minister für Reaktorsicherheit, ist immerhin bereit, über das Restrisiko der deutschen Atomanlagen zu diskutieren. Wenn er das ernst meint, kann er sich mit den Bildern aus Japan vor Augen nicht mehr für längere AKW-Laufzeiten aussprechen. Er muss sich entscheiden: Ein Anti-Atom-Kurs ist ein politisches Risiko für Röttgen. Ein Pro-Atom-Kurs ist ein atomares Risiko für Deutschland.
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