Kommentar Asyldebatte: Aus einem Rinnsal eine Flut machen
Von einer Flut von Neuankömmlingen kann keine Rede sein. Die Union setzt trotzdem auf die Ressentiments gegen die Roma.
K eine Frage: Es ist kein ernst gemeintes Angebot des serbischen Präsidenten Ivica Dacic. Niemand glaubt wirklich, dass Serbien bald Geld nach Berlin überweisen wird, um dem deutschen Staat mit seiner vielfach höheren Wirtschaftsleistung die Kosten für serbische Asylbewerber zu erstatten.
Doch die Furcht vor dem Entzug der Visafreiheit sitzt tief in den Balkanstaaten, die nicht auf einen baldigen EU-Beitritt hoffen können. Sollte sich Deutschland damit durchsetzen, dass Serben und Mazedoniern der freie Zugang zum Schengen-Raum wieder versperrt wird, dürfte sich die Wut der Bevölkerung vor allem gegen die eigene Regierung richten, die dies nicht verhindert hat.
Die absurde Offerte der serbischen Regierung zeigt: Die Maßstäbe in der Debatte um die angebliche Flut von Asylbewerbern vom Balkan sind gehörig verschoben.
Seit Tagen legen Innenpolitiker von CSU, CDU und SPD immer neue Vorschläge auf den Tisch, die unverblümt darauf zielen, Roma die Lust zu nehmen, nach Deutschland zu kommen. Flankiert werden diese Vorstöße mit der Präsentation „explodierender“ Zahlen angeblich missbräuchlicher Asylanträge von Roma aus diesen Staaten – und den angeblich ebenso unüberwindlichen Schwierigkeiten, vor denen die deutschen Kommunen deshalb stehen.
ist Redakteur der taz.
Dem Innenministerium dürften die steigenden Antragszahlen jedoch wie bestellt gekommen sein. Denn nachdem das Verfassungsgericht im Juli entschieden hat, dass Flüchtlinge nicht länger mit niedrigeren Sozialleistungen abgespeist werden dürfen, ist das Tauziehen um ihre künftige Versorgung voll im Gang. Immer wieder hat die Union klargemacht, was sie davon hält, das Urteil umzusetzen und Geduldete und Asylsuchende endlich besserzustellen: nichts.
Tatsächlich kann von keiner Flut von Neuankömmlingen, sondern nur von einem Rinnsal gesprochen werden. Die absoluten Zahlen sind gering: Knapp 50.000 waren es im letzten Jahr, das ist ein Bruchteil des deutschen Bevölkerungsschwunds. Die Vorstellung, ein Land mit 80 Millionen Einwohnern könnte damit bereits überfordert sein, ist abwegig.
Der anstehende Wahlkampf wird noch viele schrille Töne mit sich bringen. Denn die Union weiß genau: Auf die Reflexe einer Bevölkerung, die durch Bilder überquellender Notunterkünfte in Alarmstimmung versetzt wird, ist Verlass. Und auf die Ressentiments gegen Roma erst recht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs