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Kommentar Armutsbericht DeutschlandArme sind überall arm

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Wenn irgendwo besonders viele Menschen vom Steuerzahler leben, hat das vor allem mit der örtlichen Wirtschaft zu tun – egal ob in Berlin oder Stuttgart.

W er den neuen regionalen Armutsbericht studiert, sieht gängige Bilder bestätigt. Berlin, Bremen und das Ruhrgebiet liegen ganz vorn in der Armutsentwicklung. In Bayern und Baden-Württemberg dagegen ist fast alles prima. In Stuttgart lebt nur jeder 13. unterhalb der sogenannten Armutsgefährdungsschwelle, in Berlin hingegen ist es jeder Fünfte.

Das erzeugt nicht nur überregionales Mitleid, im Gegenteil. Wer als Wahlberlinerin alte Kumpels im Süddeutschen besucht, kennt die Vorhaltungen: „Ja, ja, für das „Arm, aber sexy“-Berlin, da müssen wir zahlen dank Finanzausgleich.“ Berliner Autoren wie Thilo Sarrazin und Heinz Buschkowsky tragen zum Vorurteil bei, dass die Hartz-IV-Empfänger mitschuld seien an ihrem Schicksal.

Doch auch die Berliner selbst sind mit Klischees nicht zimperlich. Zugezogene Schwaben werden schon wegen ihres Akzents automatisch unter Gentrifizierungsverdacht gestellt, selbst wenn sie keine Eigentumswohnung in Prenzlauer Berg kaufen.

Bild: Jutta Henglein-Bildau
BARBARA DRIBBUSCH

ist Redakteurin im Inlandsressort der taz.

Dabei haben alle Seiten ein bisschen recht. In ärmeren Milieus entwickelt sich aus der Not eine Überlebenskultur mit kleinen Nebenjobs, die manchen Langzeitarbeitslosen vielleicht auch blockiert auf dem Weg in einen Vollzeiterwerb. Wie unlängst eine Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung zeigte, ist die Ungleichheit innerhalb der Stadtgrenzen in Berlin eher schwach ausgeprägt im Vergleich zu Stuttgart. Das ist übrigens kein unsympathischer Zug. Andererseits könnte die wirtschaftsschwache Metropole nicht existieren ohne die indirekten steuerlichen Zuflüsse aus stärkeren Regionen, der Bundesrepublik, deren exportorientierte Wirtschaft brummt.

Der vorliegende Armutsbericht zeigt daher auch: Wenn irgendwo besonders viele Menschen vom Steuerzahler leben, hat das vor allem mit der örtlichen Wirtschaft zu tun. Schuld an den Armutsquoten sind fehlende Arbeitsplätze und miese Löhne. Dass die Ökonomie verantwortlich ist für die Armutsmisere, nicht etwa die Haltung der Menschen, daran darf man nicht rütteln. Und regionale Zuschreibungen dürfen nicht benutzt werden von einer Politik, die die Grundsicherung niedrig halten will.

Zwischen 2005 und 2011 ist das mittlere Einkommen in Deutschland um 15 Prozent gestiegen, der Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger aber nur um 5,5 Prozent. Wer alternativlos von Grundsicherung leben muss, wird abgehängt. Egal wo.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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16 Kommentare

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  • D
    dadastaat

    Eine wesentliche Information bleibt in der vorliegenden Statistik gerne außenvor und wird durch dieses unsinnige Phänomen des Rankings - hier besonders zynisch: ein Armutsranking! - überdeckt. Entscheidend ist doch nicht, dass etwa in Berlin mehr Armut vorherrscht als im Süden der Republik. Für den einzelnen Betroffenen sind die Prozente irrelevant! Relevant ist dagegen folgende Lesart: Auch im "reichen" Süden der Republik leben immer noch über 10 Prozent in Armut. Übrigens ist das nicht so, obwohl die Wirtschaft dort brummt, sondern weil dies so ist. Sinkende Beschäftigtenzahlen erhöhen nämlich die Rendite an den Börsen - und nur das ist in kapitalistischen Systemen erwüncht. Wer das nicht will, muss schauen, wer genau hiervon profitiert und welche wirtschaftlich-politischen Querbeziehungen da bestehen. Arme waren dagegen noch nie gerne arm. Dagegen sind die DAX-notierten Armutserzeuger mit ihren schwarz-gelb-rot-grünen Helferlein gerne auf Kosten der Armen reich.

  • L
    lowandorder

    @ansgar

     

    Danke für den Tipp:

     

    "Der Begriff „gleichwertige Lebensverhältnisse“ gehört zur zentralen Leitvorstellung des Bundes und der Länder und zielt auf die gleichmäßige Entwicklung der Teilräume vor allem bezogen auf Daseinsvorsorge, Einkommen und Erwerbsmöglichkeiten."

     

    Putzig - entspricht genau dem, was ich aus dem Seminar " Leistungsstaat und Grundrechte" in Erinnerung hatte.

     

    " Eure Armut kotzt mich an " ala Mettmann-Süd ist erkennbar nicht gemeint.

  • S
    Stefan

    Lieber Normalo,

     

    ich gehe mal davon aus, dass Sie sich die ganzen lobenswerten Eigenschaften selbst im Übermaß zuschreiben? Das ist nicht nur arrogant, sondern zeugt auch von bemerkenswerter Weltfremdheit: Wer glaubt denn ernsthaft, dass es ein mentales und charakterliches Problem ist, dass aus einem in der Folge des Beitritts deindustrialisierten Ost-Berlin und einem in der Folge der Teilung deindustrialisierten West-Berlin keine Boomtown wird, zumal unter Bedingungen der voranschreitenden Globalisierung?

     

    Ähnliche einleuchtende wirtschaftshistorische Gründe für Armut lassen sich für Bremen und das Ruhrgebiet formulieren

  • A
    Arne

    Die Frage bleibt dann, wie man ein wirtschaftliches Gleichgewicht herstellen kann. Ganz Süddeutschland hat es die letzten Jahre verpennt, ausreichend alternative regenerative Energieerzeugung zu schaffen und werden zukünftig von den norddeutschen Stromlieferungen abhängig sein. Damit dürfte auch der bisherige Standortvorteil eigentlich gefährdet sein.

     

    Da die deutsche Wirtschaft aber als korrupt gilt, haben mittlerweile kaum noch regionale Energieversorger das Sagen, sondern es werden multinationale Stromkonzerne beauftragt, die Windenergie des Nordens auszubeuten. Hier ist vor allen Dingen die Frage, wieso die Regierungen in Niedersachsen und anderswo so dermaßen fahrlässig mit ihrem neuen Kapital umgehen.

  • V
    vic

    So soll es sein. Stuttgarter sollen Berlinern die Schuld geben und umgekehrt. Das lenkt ab von den Versäumissen der wirtschaftshörigen Regierungen in Land und Bund.

  • K
    kroete

    Armut hat viele Gesichter, die besonders von unseren Politiker/innen mit geschönten Statistiken bereinigt werden.

    Es ist eine Schande für das reiche Deutschland, daß immer mehr Menschen in die Armutsfalle tappen müssen, da dies politisch toleriert bzw. gefördert wird.

    Daß enormer Reichtum einiger Weniger auch bei uns das Land zunehmend spaltet, sollte erkannt sein, ist es an der Zeit, daß sich die Armen solidarisieren, um dieser Dynamik entgegen zu treten.

    Es wäre schon viel getan, wenn bei der nächsten Bundestagswahl besonders diejenigen zur Wahl gingen, die sich längst gesellschaftlich abgekoppelt empfinden, es sogar faktisch sind.

    Eine Wahlbeteiligung, die sich langsam der 50% - Marke nähert ist ebenso ein Armutszeugnis für unsere Demokratie.

  • A
    Ansgar

    @Karl K.

     

    "@ Ansgar

    Gleichheit der Lebensverhältnisse steht

    sogar in unserer Verfassung, - witzigerweise, stupid."

     

    Danke für den Einwurf. Sehe aber nicht, was das mit meinem Kommentar zu tun hat. Sie scheinen nämlich die entsprechenden Artikel nicht verstanden zu haben (wohl aufgrund einer originellen, aber reichlich kühnen Interpretation in Richtung Angleichung der individuellen Einkünfte). Wenn Sie mögen, können Sie sich diesen Text durchlesen:

     

    http://planung-tu-berlin.de/Profil/Gleichwertige_Lebensverhaeltnisse.htm

     

    @Ludwig

     

    Kommt da jetzt noch was nach oder war das schon Ihr Argument?

  • B
    Bremen

    Vielleicht sollte man mal den MiriClan in Bremen abschalten, dann kommen vielleicht ein paar Unternehmen dahin.

     

    Wer will schon Schutzgeld bezahlen.

     

    An die Bremer: Wählt doch endlich Jan Timke, Bürger in Wut. Er ist der einzige der was tun will. Die Etablierten machen doch nichts!

     

    Ich verstehe die Wähler nicht.

  • N
    Normalo

    Sehr geehrte Frau Dribbusch,

     

    mal abgesehen von der wirklich bahnbrechenden Erkenntnis, dass die Verteilung von Armut und Reichtum höchstwahrscheinlich von wirtschaftlichen Faktoren abhängt: Haben sie sich schon einmal gefragt, wer "die Wirtschaft" ist? Könnte die vielleicht aus Menschen bestehen? Glauben sie, der weltweite Erfolg insbesondere der im Süddeutschen angesiedelten Unternehmen - die dort höhere Löhne, höhere Mieten etc. zu zahlen haben und trotzdem brummen - kommt von ungefähr?

     

    Es hilft nichts, sich vom obersten Fenster des ideologischen Elfenbeinturms ein abstraktes Ziel zu suchen und mit dem Finger darauf zu zeigen, wenn es in Wahrheit doch um einzelne Menschen, ihre Fertigkeiten, Leistungsbereitschaft und Willen zur Übernahme von Eigenverantwortung geht. Die sind der Grundstock für eine erfolgreiche, Arbeit bietende Wirtschaft. Man braucht zwar auch(!) Glück, aber das kann man nicht haben, wenn man gar nicht erst versucht, etwas Anständiges auf die Beine zu stellen.

     

    Frohe Weihnachten und weiterhin süße Träume wünscht:

     

    Normalo

  • D
    Detlev

    Die Kommentatorin hat vollkommen recht, dass die Armut in Deutschland steigt. Sie steigt zwar regional unterschiedlich stark, aber am Ende dann doch flächendeckend, weil sie politisch gewollt ist, weil sie von Gesetzen abhängig ist.

     

    Hier mal ein paar Fakten:

    30 Prozent der Frauen arbeiten in schlechten Jobs

    32 Prozent der Migranten (auch Russlanddeutsche) befinden sich in prekären Jobs

    Fast 50 Prozent der Migranten bis 25 Jahre bekommen nur miesen Jobs

    7,3 Mio. haben einen Minijob

    11,5 Mrd. kostet den Staat das Aufstocken von momentan ca. 1,4 Mio. Arbeitnehmern

    2011 waren fast 900.000 Menschen nur in der Leiharbeit

     

    Wie stark die Wirkung von gesetzlichen Regelungen ist, kann man daran erkennen, dass 2008 in einem Boomjahr 30,000 Arbeitsplätze in Hamburg entstanden, in denen vollzeit gearbeitet wurde, die aber nicht auskömmlich waren und deswegen aufgestockt werden mussten.

    Was auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich passiet, ist, dass Arbeitsvolumina kostengünstiger auf mehrere Personen verteilt werden, als auf wenige in Vollzeitstellen. Das wird dank der guten Schul- und Ausbildungen der Arbeitnehmer auch in bestimmten Facharbeiterbranchen oder für Positionen gemacht, die hohe Qualifikationen voraussetzen.

    Die Folge sind aber nich nur arme Arbeitnehmer, steigende Armut und höhere Ausgaben für den Staat, es kommt auch zur (zukünftigen) Rentenarmut, die Armut der Kinder steigt und immer mehr Menschen haben keinerlei Ersparnis, leben mit einem Bein im vollen sozialen Absturz/in der Privatinsolvenz.

     

    Früher ging man davon aus, dass Arbeitslose ein schlechtes Ausbildungsniveau haben oder andere Probleme/Defekte sie benachteiligen, dass ihre Arbeitslosigkeit und ihr Existenzminimum auf raional nachprüfbare Ursachen zurück zuführen sei.

    Heute stimmt das nur noch sehr bedingt: Die große Masse der armen Arbeitnehmer verfügt über eine Berufsausbildung und Arbeitserfahrung, einige haben in der Vergangenheit sogar gut verdient und Erfolg gehabt. Das räumte letztlich sogar Heinrich Alt ein.

  • B
    Bastler4711

    Der neue Bericht von den Cheflobbyisten der Armutsindustrie. In diesen Kreisen fährt man auch schon mal Maseratti als Dienstwagen (CO2 sparen können die Anderen!); als Gutmensch darf man das. Denn merke: von der Armutssindustrie kann man hervorragend leben! Und dazu noch der üppige und grosszügig gewährte Vorruhestand; Gutsein strengt schliesslich mehr an, als selbst die Arbeit der Bergleute unter Tage.

    Und das soll schliesslich so weitergehn.

    Viele von den 'Armen' fühlen sich nicht einmal arm, aber das nützt ihnen nichts; wie gewöhnlich bestimmt ein steuergeldgestählter Apparatschick, was arm ist.

    Während die Anzahl der Empfänger von Sozialleistungen in den letzten Jahren stetig zurückgegangen ist, wächst die Armutsindustrie immer weiter. Da muss Geld her!

    Gut, das Armut als relative Prozentzahl ausgewiesen wird; das macht sicher, dass es IMMER Arme geben wird und der Armutsindustrie die Kundschaft nicht ausgeht. Das Ende des Wachstums soll natürlich woanders stattfinden.

  • KK
    Karl K

    Arme sind überall arm.

     

    Ja so isset.

    Und für die südlich des Weißwursthorizontes sei noch etwas

    prozesshaftes Denken zu dieser Momentaufnahme

    beigefügt: schaut mal nach wie lange ihr am Tropf anderer

    boomender Länder, insonderheit des Ruhrgebiets gehangen habt!

    Solidarität ist keine Einbahnstraße;

    haut das doch mal euren Oberen bei der nächsten

    allfälligen Länderfinanzausgleichdiskussion um die Ohren.

    Danke.

     

    Und so auch zu

    @ Ansgar

    Gleichheit der Lebensverhältnisse steht

    sogar in unserer Verfassung, - witzigerweise, stupid.

    Also - lieber arm dran als Kopp ab.

  • L
    Ludwig

    Ja Ansgar, da gehörst du auch dazu - zu dem putzigen Völkchen.

  • D
    derdemokrator@aol.de

    Auch wenn ich mich durch Ehrenamt aus der verordneten "Hartz4-Armut" unseres Regime irgendwie rausgerobbt habe, finde ich die Relativierungsversuche vieler Bessergestellten und als besonders ekliges Beispiel der "Menschenrechtlerin" Vera Lengsfeld, sowas von zynisch das ich sie früher in die menschenverachtende Naziecke gestellt hätte. Inzw. ist es jedoch wieder zulässig: "Doch mal was sagen zu dürfen" und sich dann zu wundern, das besonders dumme Zeitgenossen dies nicht als Polemik erkennen sondern für die einzige Wahrheit halten und Ausländer und Langzeitarbeitslose verdreschen und manchmal sogar umbringen. Dabei weiß jeder der mal Hartz4 bezogen hat das er entweder sehr kurzzeitig am "normalen" Gesellschafts- und Kulturleben teilnehmen kann und nach etwa 10 Tagen pleite ist oder aber Monat für Monat mit den (un)gesetzlich vorgegeben Regelsatz durchkommt, sich dadurch aber immer stärker von der "normalen Gesellschaft" isoliert, vom im stat. Warenkorb errechneten Werten gar nicht erst zu reden.

     

    Ciao

    DerDemokrator

     

    P.S. Ich habe mich für die EVS2013 (die die gesetzlichen Regelsätze errechnet) angemeldet und nehme daran teil. Wie falsch der Konsumklimaindex berechnet wird, habe ich bereits herausgefunden. Wie glaubwürdig staatlich vorgegebene Statistik ist, kann damit jeder für sich selbst herausfinden.

  • K
    Karl-August

    "Wenn irgendwo besonders viele Menschen vom Steuerzahler leben, hat das vor allem mit der örtlichen Wirtschaft zu tun."

     

    Welch revolutionäre Erkenntnis. Da hängt der Wohlstand doch tatsächlich von der Wirtschaftsstruktur ab. Wer hätte das gedacht.

     

    Dann ist Berlin mit seinem wirtschafts- und investorenfreundlichen Klima ja auf einem guten Weg...

  • A
    Ansgar

    "Wie unlängst eine Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung zeigte, ist die Ungleichheit innerhalb der Stadtgrenzen in Berlin eher schwach ausgeprägt im Vergleich zu Stuttgart. Das ist übrigens kein unsympathischer Zug."

     

    Auch wenn es Frau Dribbusch selbst wohl nicht so gemeint hat - das ist es, was ich bei so vielen Deutschen (keineswegs nur Linken) so erheiternd und bizarr finde: Lieber gleicher und ärmer als ungleicher und etwas reicher auch am unteren Rand. Ein putziges Völkchen wir.