Kommentar Argentinien: Die Befehle kamen von ganz oben
Das Urteil gegen Argentiniens Ex-Diktator Videla ist ein historischer Schritt. Hinweise über die in der Diktatur verschwundenen Kinder gab es im Prozess jedoch nicht.
E s ist ein historisches Urteil. Zum ersten Mal wurde einer ehemaligen Militärdiktatur per Gerichtsurteil bescheinigt, sich systematisch die in der Haft geborenen Kinder ihrer politischen Gegner angeeignet zu haben. Auch wenn die Richter in ihrem Spruch das Adjektiv „planmäßig“ vermieden, ist die Feststellung der Systematik fundamental. Nicht die unteren Ränge handelten unkontrolliert, die Befehle kamen von ganz oben.
Die Freude und Genugtuung über die Urteile prallt auf die Mauer des Schweigens der Militärs. Knapp 30 Jahre nach dem Ende der Diktatur ist der militärische Korpsgeist dieser Menschenrechtsverbrecher völlig intakt.
Auch dieser Prozess brachte keine neuen Hinweise auf den Verbleib der bis heute verschwundenen Kinder, Mütter und Väter. Noch immer leben vermutlich 400 heute über 30-jährige Menschen unter einer falschen Identität bei ihren unrechtmäßigen Adoptiveltern.
ist Argentinien-Korrespondent der taz.
Nicht nur Exdiktator Jorge Videla sieht sich als politischen Gefangenen, der seinen Kampf gegen die von ihm so genannten Terroristen – vorübergehend – verloren hat und nun deren Siegerjustiz unterliegt. Es ist kein Altersstarrsinn eines 86-Jährigen, wenn er seine Strafte als Dienst am Vaterland begreift. Es zeigt, wie tief dieser Mann die militärische Logik von Freund und Feind verinnerlicht hat.
Dieses Denkmuster findet sich auch bei den ehemaligen Militärmachthabern in Chile, Uruguay, Paraguay und Brasilien. Doch in Argentinien ist der gesellschaftliche Druck weit stärker, die Verbrechen aufzuarbeiten.
Seit über 30 Jahren marschieren und streiten die Madres und Abuelas der Plaza de Mayo für Gerechtigkeit. Ohne den unermüdlichen Einsatz der Menschenrechtsbewegung sowie den politischen Willen der Präsidenten Néstor und Cristina Kirchner wäre das Urteil nicht gesprochen worden.
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