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Kommentar "Arche de Zoé"Frankreichs humanitäre Verwirrung

Dorothea Hahn
Kommentar von Dorothea Hahn

Eine tiefgreifende Verwirrung über Moral und Justiz hat Frankreich ergriffen. Auslöser: die Affäre um die dubiose Hilfsorganisation "Arche de Zoé" und das Drama Darfur.

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Dorothea Hahn
Korrespondentin
Kommt aus Köln. Ihre journalistischen Stationen waren Mexiko-Stadt, Berlin, Paris, Washington und New York.
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1 Kommentar

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  • RS
    Robert Schütte

    "Es gibt keinen Grund sich über Frankreich zu mockieren"

     

     

    Sehr geehrte Frau Hahn, liebe TAZ-LeserInnen,

     

    mit Interesse habe ich ihren Kommentar zur derzeitigen Stimmungslage in Frankreich bezüglich des Völkermords in Darfur gelesen. Da ich mich als Präsident der deutschen Menschrechtsorganisation "Genocide Alert" selbst aktiv mit dem Darfur-Konflikt auseinandersetze, möchte ich es mir nicht nehmen lassen zu ihrem Artikel Stellung zu nehmen.

     

    Zu aller erst einmal ist es richtig, dass Darfur in Frankreich eine sehr große öffentliche Aufmerksamkeit genießt. Dies ist auch nicht verwunderlich, schließlich bezeichnet die UNO den Konflikt in Darfur als "größte humanitäre Katastrophe der Welt". Eigenartig ist eher, dass Darfur in Deutschland eine weit geringer Aufmerksamkeit erfährt als in anderen westlichen Staaten wie Frankreich, den USA, Großbritannien, etc.. Sie schreiben in ihrem Artikel: "In Frankreich wird den Bewohnern der sudanesischen Krisenregion größte Sympathie entgegengebracht, mehr als allen Afghanen, Irakern oder Palästinensern im belagerten Gazastreifen zusammen." Hierzu stelle ich fest: Es ist nicht sinnvoll, das Leid unterschiedlicher Völker gegeneinander aufzurechnen. Oder wollen sie ausdrücken, dass Afghanen + Iraker + Palästinenser mehr Sympathie als die Opfer in Darfur verdienen? Oder gleich viel? Oder vielleicht doch weniger? Rechnungen dieser Art sind müßig. Tatsächlich ist festzustellen, dass die neue Regierung unter Sarkozy und Kouchner in wenigen Monaten ein vielfaches mehr zur Verbesserung der humanitären Lage in Darfur und im Tschad beigetragen haben, als die schwarz-rote Bundesregierung in 2 Jahren. Deutschland sollte sich hieran ein Beispiel nehmen.

     

    Sie schreiben des weiteren, dass "(e)ine mächtige Koalition, der zahlreiche christliche NGOs angehören, behauptet, dass dem Konflikt in Darfur bereits 400.000 Menschen zum Opfer gefallen seien (...)". Fälschlicherweise reduzieren sie damit die Pro-Darfur Bewegung in den USA auf mehrheitlich christliche Organisationen. Tatsächlich ist jedoch das wichtigste Merkmal der Bewegung, dass sie vom links-liberalen bis hin ins rechts-konservative Spektrum die gesamte politische Bandbreite der Politik abdeckt. Amnesty International und Human Rights Watch sind mindestens ebenso prominente Mitglieder der ?Save Darfur Coalition? wie inzwischen hunderttausende Studenten und natürlich auch Kirchen unterschiedlicher Konfessionen. Mit einer Abdeckung von 135 Millionen Amerikanern hat diese Bewegung tatsächlich auch die Macht, der US-Regierung entsprechenden Druck zu machen. Dies ist vorbildlich, denn es gibt in der Tat ausreichend wirtschaftliche, militärische und politische Interessengruppen in Washington, die weitestgehend vergeblich auf eine Verbesserung der Beziehungen Amerikas zu Khartum drängen. Gegen die wirkungsreiche Arbeit einer machtvollen Menschenrechtslobby ist nichts einzuwenden.

     

    Sie bezweifeln in ihrem Artikel die Feststellung, dass der Völkermord in Darfur 400.000 Tote gekostet habe und legen die Zahl der Toten lieber auf die oft zitierten 200.000 Opfer fest. Dies ist eine verbreitete, aber deshalb nicht zwingend korrekte Interpretation der vorliegenden Daten. In der Tat ist es so, dass es extrem schwierig ist an adäquates Datenmaterial zu der Frage zu gelangen, und dies bezieht sich sowohl auf höhere als auch geringere Mortalitätsschätzungen. Sicher ist nur, dass die von der sudanesischen Regierung vertretene Zahl von 9.000 Toten falsch ist. Die von ihnen zitierten 200.000 Opfer finden ihre Basis in einer Studie von Hagan und Palloni vom September 2006 in der Zeitung "Science". Zuallererst ist hierzu festzustellen, dass diese Schätzung nun schon weit über ein Jahr alt ist. Zudem erklären die beiden Autoren in ihrer Studie, dass "die Zahl der Toten im Großraum Darfur höher als 200.000 sind, (...) und wir leicht über eine Zahl von 400.000 Toten sprechen können".

     

    Die von ihnen angesprochene geringere 200.000-Tote-Schätzung ist in der Tat eine Untergrenze und kein als exakt zu verstehender "body count". Ein weiterer bedeutender Punkt ist, dass in bisher jedem Völkermord eine drastische Unterschätzung der tatsächlichen Opferzahlen statt gefunden hat. Ein Blick in die Geschichte zeigt dies eindrücklich. 400.000 Tote sind keine ohne weiteres überprüfbare Zahl, es ist aber auch weit mehr als bloße "Meinung". Fest steht, dass sich die vorhandenen Daten unzweifelhaft in diese Richtung interpretieren lassen.

     

    Sie schreiben in ihrem Artikel: "Und tatsächlich erklären auch fast alle NGOs, die vor Ort aktiv sind, dass es zwar massive Verfolgungen gebe, aber von einem Genozid in Darfur keine Rede sein könne. Auch ist längst klar, dass die Massaker nicht entlang ethnischer Linien verlaufen, sondern mit wirtschaftlichen Interessen zusammenhängen.? Diese Feststellung ist völkerrechtlich und politisch zweifelhaft. Zum einen ist festzustellen, dass die Frage ob es sich um einen Völkermord oder "bloß" Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Darfur handelt, politisch irreführend ist. In beiden Fällen steht fest, dass hunderttausende unschuldige Zivilisten von der sudanesischen Regierung und den ihr verbundenen arabischen Reitermilizen der Janjaweed in geplanter Weise ermordet wurden. Diese Verbrechen richten sich ausschließlich gegen die drei Volksgruppen der Fur, Masalit und Zhagwha, nicht jedoch gegen die sich als arabisch ansehenden Bevölkerungsteile. Die Coalition for International Justice hat im Jahr 2004 an Hand von über 1000 Interviews statistisch repräsentative Daten vor Ort erhoben, auf welche sich das letztlich von der amerikanischen Regierung proklamierte ?Völkermords?-Urteil stützt. Zwar hat sich die UN in einem Expertenbericht nicht zu einer solchen Schlussfolgerung durchringen wollen. Jedoch weißt sie ausdrücklich darauf hin, dass ?die in Darfur verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in keiner Weise weniger ernst und niederträchtig sein müssen als Völkermord.? Es handelt sich also, entgegen dem Tenor ihres Artikels, um schwerste Brüche des international humanitären Völkerrechts, ganz gleich ob diese nun die juristische Qualifikation des ?Völkermords? erfüllt oder nicht. Dies ist die entscheidende Aussage.

     

    Zu guter letzt sprechen sie in Ihrem Artikel davon, dass "(e)in naiver Interventions-Diskurs den Kreuzrittern der humanitären Sache den Weg (ebne)". Hierzu bleibt festzustellen, dass der Schutz unschuldiger Zivilisten vor schwersten Menschenrechtsverletzungen rein gar nichts mit Kreuzrittertum sondern mit Humanität zu tun hat. Der Diskurs in Frankreich bezüglich Darfurs ist nicht "naiv" sondern richtig. Vor allem Deutschland steht auf Grund seiner Geschichte in der Verantwortung, Völkermord und Menschlichkeitsverbrechen die Stirn zu bieten. Statt dessen missbilligt die deutsche Diplomatie hinter den Kulissen die so dringend notwendige EU-Mission im Tschad; nicht zu vergessen, dass die deutsche Wirtschaft ihre Exporte in den Sudan seit 2003 um ca. 300% erhöhen konnte. Neutralität, Indifferenz und indirekte Komplizenschaft liegen in Fragen des ersten Völkermords des 21. Jahrhunderts erstaunlich eng beisammen, und profitabel sind sie allemal. An statt sich also im Brustton moralischer Überlegenheit über Paris zu mockieren, sollte Deutschland lieber selbst einen Schritt in Richtung eines international verantwortlichen Humanismus tun. Die Menschen in Darfur sind es Wert geschützt zu werden.

     

    Mehr Information finden sie unter: www.genocide-alert.de

     

    Mit freundlichen Grüßen,

    Robert Schütte

    (Präsident "Genocide Alert")