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Kommentar AntisemitismusDas geht alle an

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Es ist zu schlicht, Antisemitismus als Problem von Muslimen zu sehen. Er ist eine Spielart des Rassismus, der sich die gesamte Gesellschaft stellen muss.

W enn jemand aufgrund seiner Herkunft, Hautfarbe oder Religion auf offener Straße angegriffen wird, dann ist das immer ein Skandal. Wenn es sich dabei um einen jüdischen Geistlichen handelt, dann wiegt das in Deutschland besonders schwer.

Dass ein Rabbiner in Berlin von vier offenbar arabischstämmigen Jugendlichen bedroht und geschlagen wurde, hat deshalb zu Recht breite Empörung ausgelöst. Es zeugt von funktionierenden Reflexen, dass sich viele jetzt mit dem Opfer solidarisch zeigen, dass sich in seinem Stadtteil eine Bürgerinitiative gebildet hat und in Berlin mehrere Solidaritätskundgebungen geplant sind.

Dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, ist das nicht genug. Er hat jetzt speziell von den muslimischen Verbänden mehr Engagement im Kampf gegen den Antisemitismus gefordert. Nun kann man immer mehr tun, um Antisemitismus zu bekämpfen. Fraglich ist aber, warum allein die muslimischen Verbände der richtige Adressat für diese Forderung sein sollen.

Bild: taz
Daniel Bax

ist Inlands-Redakteur der taz.

Noch weiß man ja nicht einmal, ob es überhaupt muslimische Jugendliche waren, die den Rabbiner angegriffen haben – es gibt ja auch christliche Araber. Aber selbst wenn es muslimische Jugendliche waren, so steht zu bezweifeln, dass es in der Macht der muslimischen Verbände steht, solche Vorkommnisse zu verhindern und solche Jugendliche überhaupt zu erreichen. Wer weiß, ob diese Leute jemals in eine Moschee gehen?

Richtig ist, dass bei manchen Muslimen aufgrund des Nahostkonflikts starke Ressentiments gegen Juden insgesamt bestehen. Dagegen hilft nur Aufklärung. Richtig ist aber auch, dass der Dialog zwischen Juden und Muslimen hierzulande in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht hat. Erst jüngst hat der Furor der Beschneidungsdebatte die beiden Minderheiten zudem wieder enger zusammenrücken lassen.

Antisemitismus wiederum ist keineswegs auf Einwanderer beschränkt, sondern hat in Deutschland Tradition – auch in den sogenannten besseren Kreisen. Neunzig Prozent aller antisemitischen Straftaten gehen auf das Konto von deutschen Rechtsradikalen. Es wäre daher zu schlicht, Antisemitismus allein als Problem von Muslimen zu sehen. Es ist eine Spielart des Rassismus, der sich die gesamte Gesellschaft stellen muss – in den Schulen, den Medien und in der Politik.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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