Kommentar Abwrackprämie: Im Land der Autosüchtigen
Die Bundesregierung will die Abwrackprämie aufstocken - aber nur, weil im Herbst Wahl ist.
W enn das Bundesamt für Wirtschaft eines Tages den letzten Zuschussbescheid verschickt hat, werden die Autohersteller tief in die Krise stürzen. Denn wer sollte sich danach noch ein Auto kaufen, so ganz ohne Bonus? Die Abwrackprämie hat süchtig gemacht - und der Entzug wird schmerzhaft sein.
Bernward Janzing ist studierter Geowissenschaftler und arbeitet als freier Journalist in Freiburg. Die Energiemärkte sowie die effiziente - und kostensparende - Nutzung von Energie zählen seit Jahren zu den Schwerpunkten seiner Arbeit.
Aus diesem Grund will die Bundesregierung den Etat nun aufstocken, im Herbst ist schließlich Bundestagswahl. Das grausame Ende der Prämie verschiebt man lieber auf die Zeit danach, koste es, was es wolle. Da will dann selbst der Bundesumweltminister nicht aus der Reihe tanzen - sosehr die Abwrackprämie ein ökologischer Sündenfall ist. Und auch von den Gewerkschaften kommt Unterstützung. Ob deren Vertreter dann konsequenterweise schweigen werden, wenn nach der Bundestagswahl die neue Regierung zu Steuererhöhungen greift? Irgendwer muss die Autoboni schließlich bezahlen.
Die Bundesregierung wird die Geister, die sie in ihrer Unvernunft rief, nicht mehr los. Und so wird die Verschrottungsprämie zu einem ökonomischen Experiment mit unbekanntem Ausgang und heftigen Nebenwirkungen. Niemand weiß, in welchem Maße die Privatinsolvenzen zunehmen werden, weil sich Menschen - durch den Bonus verleitet - auf Kredit einen Neuwagen kaufen, den sie sich gar nicht leisten können.
Dass die Abwrackprämie auch aus ökologisch-sozialer Sicht ein Irrweg ist, kommt zu alldem noch hinzu. Denn Steuerzahler, die mit Bahn und Fahrrad unterwegs sind, subventionieren nun sogar bis zur Bundestagswahl jene, die mit ihren Fahrzeugen Lärm und Abgase produzieren. Wäre der Bonus tatsächlich eine "Umweltprämie", hätte man ihn auch auf neue Fahrräder oder eine Jahresnetzkarte der Bahn geben können. Aber das war in einem von der Autolobby geprägten Land nie gewollt.
Spätestens mit dem Ende der ersten Abwrackprämie wäre es an der Zeit gewesen, zur Vernunft zu kommen. Diese Chance hat die Regierung nun aus Gründen der Wahltaktik vertan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen