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Kommentar Abstimmung über Gezi-ParkErdogans eleganter Plan

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Der türkische Premier stellt sich schlau an: Mit seinem Vorschlag, das Volk über den Gezi-Park abstimmen zu lassen, kann er sich demokratisch geben.

Atemmasken und Helme: Männer am Eingang des Gezi-Parks Bild: reuters

Willkommen im Demokratie-Paradies von Tayyip Erdogan“, twitterten gestern Besetzer des Gezi-Parks mit der bereits bekannten Ironie der Bewegung. Kurz zuvor hatte die Regierung verkündet, sie wolle den Konflikt um den Park jetzt per Plebiszit erledigen.

Natürlich dreht es sich bei der Revolte, die sich längst über die gesamte Türkei ausgebreitet hat, nicht mehr nur darum, einen Park zu erhalten. Und dennoch ist das Plebiszit ein äußerst geschicktes taktisches Manöver.

Schließlich ist eine Volksbefragung die mit Abstand eleganteste Form, allen Kritikern den Mund zu stopfen, selbst wenn die Polizei den Park jetzt endgültig räumen sollte.

taz
Jürgen Gottschlich

ist Türkei-Korrespondent der taz.

Nach außen hin, vor allem gegenüber seinen internationalen Kritikern, kann sich Erdogan damit wieder als Demokrat gerieren: Seht her, wir haben eingelenkt und lassen die Istanbuler selbst darüber entscheiden, ob sie lieber den Park, ein Einkaufszentrum oder ein Museum haben wollen. Dass die Protestbewegung ein solches Plebiszit gewinnen könnte, ist so unwahrscheinlich wie sechs Richtige im Lotto.

Erdogan geht kein Risiko ein

Tatsächlich geht Erdogan keinerlei demokratisches Risiko ein. Er hat den Staatsapparat, er hat Tausende wahlkampferprobter Parteimitglieder, und er kontrolliert weitgehend die Medien.

Millionen von Istanbulern, die in den von der AKP dominierten Vorstädten leben und den Gezi-Park noch nie gesehen haben, glauben Erdogan aufs Wort, wenn er von radikalen Minderheiten spricht, die den Platz besetzt hätten. Er wird diese Menschen, die nie etwas anderes als die Regierungsmedien konsumieren, mühelos dazu bringen, in seinem Sinne zu stimmen. Die Argumente der Platzbesetzer werden sie nie zu hören bekommen.

Danach kann Erdogan dann wie gehabt auf seine breite Mehrheit verweisen. Fünfzig Prozent haben mich gewählt, was wollt ihr überhaupt, ist ja jetzt schon sein Standardargument. Kurzfristig mag dieses Manöver Erdogan Luft verschaffen. Doch auf Dauer bekommt er den Geist des Widerspruchs nicht wieder in die Flasche.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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13 Kommentare

 / 
  • I
    Immigranr

    zu der türkei und dessen ministerpräsidenten möchte ich sagen dass es seit diese an der Regierung sind, die Türkei wirtschaftlich und technisch aufblüht! Die Währung ist stabil, den Menschen geht es finanziell besser als jeh zu vor, der Kurden-Konflikt scheint als bald gelöst, Krankenversicherungen für Arbeiter, die bislang von genau denselben BONZEN, die die protestler in taksim unterstützen, jahrelang nicht als notwendig betrachtet wurden...

    es leben mehr als 20 mio. Menschen in Istanbul, ein paar davon sind gegen die Regierung, o.k.. Aber die Türkei ist nicht mehr so instabil, dass westliche Regierungen sagen und machen können was Sie wollen. Auch ist Taksim kein Kriegsgebiet, dass da nun Reporter vonn CNN +BBC auftachen und Bad News verbreiten wollen. Ich bin der Überzeugung, die Regierung unter Recep Tayip ERDOGAN muss gut sein, sonst wären nicht so viele Neider!!

    Im nächsten Jahr wird die AKP 60% der Stimmen erhalten. Auch und gerade von der Unter und Mittelschicht, die genau soviel wert sind als Menschen wie andere Dort.

    Deutschland guck bessser auf Beate Z. und deren Erben bevor Du andere durch den Kakao ziehst...

  • MK
    M. Kühnemund

    Das ist ja wie bei Stuttgart 21. Dort haben auch alle dagegen demonstriert mit einen rieseigen Medienecho und dann gab es eine Volksbefragung. Was kam raus? Stuttgart 21 soll weitergebaut werden.

    Schon blöd mit der direkten Demokratie.

  • H
    Humankapital

    WAS FÄLLT IHNE EIN?

     

    - Meine Bankfiliale ist total gut und auch sonstige Banken ham mir noch immer mein Geld ausgezahlt.

     

    - Herr Hoeneß hat doch wirklich genug gelitten!

     

    - Man sagt nicht "Jude"!

     

    - hääääm...was war das letzte nochmal? Egal, hoffentlich kommt bald das neue iPhone raus mein Bildschirm ist total voll mit Fingerabdrücken.

  • T
    Tronje

    Erinnert mich irgendwo stark an die hiesige Meinungsdiktatur, wo

     

    -unser morbides Bankensystem

     

    -die Befindlichkeiten einiger Minderheiten

     

    -die unverbrüchliche Israeltreue

     

    -unsere Erfüllung durch Konsum

     

    ...bis zum äußersten verteidigt wird! Wehe dem, der anders denkt...dann wird schnell diffamiert

  • H
    Hafize

    Das Plebizit wäre nun dann wirklich sinnvoll, wenn nur die Menschen abstimmen könnten, die dort auch wirklich leben, nicht eben irgendwelche Islamisten aus den Gecekondus 20 oder 40 Kilometer entfernt. Aber Erdogan hasst die Leute, die in der Istiklal-Caddessi zechen oder in die Türkü-Bars nachts ausschwirren, um sich anatolische Volksmusik mit alevitischem Einschlag und einige Rakis reinzuziehen. In seiner Welt haben diese Leute nämlich keinen Platz und seine 50-Prozent sind dazu gedacht, diese Menschen auf den 'rechten Weg' zu bringen, sprich zu islamisieren.

  • M
    MrMr

    Das Vorhaben von Erdogan wird das Problem nicht lösen. Es ist nunmal so, dass die Türkei heute gespalten ist. Eine Seite will die Türkei Richtung Islam ziehen und die andere Richtung Westen.

    Auch wenn Erdogan 50% der Stimmen hat. Als Staatsoberhaupt ist er verpflichtet alle Menschen gleich zu behandeln. Sprich: Er muss auch der Ministerpresident der andern 50% sein! Er muss auf sie zugehen und denen zuhören.

     

    Die Menschen lassen sich nicht da nicht zum Spass zusammenschlagen, überfahren, vergiften und töten... Dass er es nicht mal versucht, ist unvorstellbar...

  • I
    Irmi

    14.06.2013 07:26 UHR

    von Ugur:

    Ich bin stolz auf Erdogan, an ihm sieht man mal wieder das die Türkei demokratischer ist als Deutschland.

     

    Antwort

    Ugur, danke selten so gelacht. Erdogan hat Sie voll im Griff.

  • H
    Humankapital

    @piratronic

    Du liebe Güte!

    Ich bin weiß Gott kein Befürworter von S21, aber dieses Rumgeheule wegen dem Volksentscheid ist einfach nur nervig. Es war schon schwer genug, den Volksentscheid durchzusetzen. Ihn dann für ungültig auf Grund zu niedriger Beteiligung zu erklären ist dann einfach nicht mehr vermittelbar. Es kann davon ausgegangen werden, dass alle S21-Gegner abgestimmt haben. Eine niedrige Beteiligung ging also eher zu unsren Gunsten. Trotzdem haben wir es nicht geschafft. Ich denke man kann immer noch dagegen kämpfen aber das Rumreiten auf längst vergangenem hilft null!

  • U
    Ugur

    Ich bin stolz auf Erdogan, an ihm sieht man mal wieder das die Türkei demokratischer ist als Deutschland.

  • P
    piratronic

    ... und nachdem die grünen in bawü einen, aufgrund der zu geringen teilnehmerzahl, ungültigen volksentscheid für gültig und bindend verkauft (wie sie übrigens auch, inklusive diverser medien), kann er sogar auf andere "demokraten" verweisen ...

  • J
    Jim

    Das ist doch in D nicht anders. Immer schön wählen gehen für die Legitimation und so.

  • A
    Aristolex

    Das Problem ist, dass anscheinend Hr. Erdogan selbst die Verfassung nicht kennt, hinischtlich Zulässigkeit/Zustandekommen von Referenden.

     

    Abgesehen von seiner Unkenntnis hinsichtlich wann/wo/von wem Referenden usw.:

    Die türkei bräuchte drinend eine Reform der zentralistischen Staatsstruktur. Sie braucht mehr föderale Elemente, ein Mehr an Subsidiarität. Sicherlich braucht sie kein Föderalismus ala Deutschland und wäre auch nicht machbar, aber weniger Zentralismus wäre angebracht.

     

    Hinzu bedarf es dringend eine Reform des Parteienrechts und des Wahlsystems. Dazu gehört natürlich auch die Abschaffung bzw. Senkung der 10% Sperrklausel bei Parlamentswahlen.

    Nach Parteienrecht in der Türkei können Parteivorsitzende die Parlamentswahllisten eigenhändig bestimmen. Für uns in Deutschland unvorstellbar.

     

    Kurz und gut: Die Türkei würde mit Strukturreformen, wie oben angedeutet, Konflikte (qualitativ)besser austragen können und eine positive Weiterentwicklung der politischen Kultur ermöglichen.

    Habt Ihr Euch nicht gefragt, wieso ein Ministerpräsident über eine kommunale Angelegenheit entscheidet? Ja, das sind die Auswüchse von Zentralismus. Obwohl ich mir ein bisschen mehr an Zentralismus in Deutschland auch wünschen würde, z.B. hinsichtlich Bildungspolitik.

    Aber so verhasst wie d. Zentralismus in Deutschland ist, so verhasst ist d. Föderalismus in der Türkei. Dabei wäre es wohl am "vernünftigsten" nach funktionalen Kriterien "mittig" zwischen Zentralismus/Föderalismus auszutarieren

  • AN
    Ano Nym

    Mensch, jetzt haben wir schon Unicode und Ihr habts auch noch Webfonts (jedenfalls in der kommenden Online-Version) mit dem wichtigen Buchstaben ğ drin und dann wird er nicht verwendet.

     

    Dann darf man sich natürlich nicht wundern, dass die Leute, den Namen falsch (Er-do-gahn statt Er-do-uan) aussprechen.