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Kommentar AbschiebungWeil es nicht um Weiße geht

Gerson Liebl wurde nach 18 Jahren aus Deutschland abgeschoben. Spricht aus diesem Akt etwas anderes als Rassismus?

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8 Kommentare

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  • J
    Justitia

    Was sind das für politische und verwaltungsrechtliche Barbaren, die es zu verantworten haben, daß ein achtjähriges Kind wie Gergi Liebl aus seinem sozialen Gefüge und der vertrauten Umgebung seiner bayerischen Heimat gerissen und zusammen mit seiner Mutti, Ginette Liebl, in ein Abschiebegefängnis eingepfercht wird? Ähnlich der Anfang Februar 2005 erzwungenen Abschiebung der schwangeren Gazale Salame!

     

    Wenn da nicht Rassismus und pure Menschenverachtung im Spiel sind, was sonst?

     

    In Deutschland werden die Menschenrechte nach wie vor durch einen rassistischen Unrechtsstaat mit den Füßen getreten!

  • E
    Eulenspiegel

    Welcher halbverrückte Rechtsbeistand hat dem Unglücklichen denn geraten, sein Aufenthaltsbegehren auf der Basis von blutsrechtlichen Argumenten zu betreiben? Damit hätte man ja einen Präsidenzfall für eine zweistellige Millionenanzahl von "Abstammungsdeutschen" (von Leonardo di Caprio über Gustavo Kürten bis hin zu Gisele Bündchen) geschaffen; weder Gerichte noch Verwaltung hätten auch nur gewagt diese Büchse der Pandora zu öffnen.

  • F
    Felicite

    Da stockt einem doch der Atem, wenn im Kommentar von einer vorbildlichen "Vorurteilslosigkeit" des jungen Straubingers Dr. Fritz Liebl die Rede ist. Ein deutsche Kolonialbeamter schließt eine nach deutschem Recht ungültige Ehe, lebt einige Zeit mit der Frau, zeugt ein Kind und kehrt dann einfach nach Deutschland zurück ohne sich jemals wieder um die Frau und das Kind zu kümmern.

     

    Diese Art von "Vorurteilslosigkeit" muss nicht eingefordert werden, sie ist recht weit verbreitet. Sonst wären die Flieger nach Thailand nicht so rappelvoll und überproportional von Männern genutzt.

     

    Zum Fall selber: die unverhohlenen Aufforderungen, auf die beteiligten Beamten, den "Mittätern" durch Veröffentlichung von Namen "Druck" auszuüben oder ihre "Namen, Visagen, Adressen und Telefonnummern" zu veröffentlichen, um sie "zu terrorisieren" (Kommentar zum Artikel "Deutschland schiebt Deutschen ab"), sind schon erschreckend. Dass Beamte an Rechtsprechung und Gesetz gebunden sind, mag in manchen Fällen zu Ergebnissen führen, die wir als zutiefst ungerecht finden, aber wer will die Alternative: Willkürentscheidungen und Bescheide nach Gutsherrenart? In diesem Fall ist wohl kaum etwas juristisch ungeprüft geblieben, lt. Berliner Zeitung ist Liebl sogar "dreimal bis zum Bundesverfassungsgericht" gegangen. Wer Ungerechtigkeiten moniert, wende sich an die Politik!

     

    Die Leichtigkeit, mit der hier einfach auf Rassismus als einzige Motivation verwiesen wird, ist auch etwas verwunderlich. Seit wann bauen Rassisten denn "manche goldene Brücke", um den Aufenthalt einer "nichtweißen" Familie zu sichern?

     

    Philipp Gessler glaubt, "im Kern rassistisches Denken" zu erkennen, denn die "weißen, vorzugsweise europäischen Ausländer, die haben wir hier gern". Mit diesem Satz wird er wahrscheinlich höhnisches Gelächter der Menschen ernten, die aus Osteuropa nach Deutschland kommen wollen. Auch bei der vielbeschworenen Aussiedlerfrage gibt es nämlich eklatante Unterschiede: aus Kasachstan kann man als Aussiedler kommen, aus Lettland hat man keine Chance. Und eines ist dabei sicher: an Fragen der Rasse liegt das sicher nicht.

  • E
    Elisabeth

    @Elke Grandison - 19.02., 12:01 h

    Liebe Elke,

     

    In der Berliner Zeitung.online.de finden sich im Textarchiv zwei informative Artikel zu der Odyssee Herrn Gerson Liebls, seiner Frau und ihres achtjährigen Sohnes, der in der Bundesrepublik Deutschland das Licht der Welt erblickt hat, siehe:

     

    BZ.online, 11. Dezember 2008: 'Ein Kohlhaas aus Togo'

    und

    BZ.online, 15. Dez. 08: 'Des Dramas nächster Akt', von Frank Nordhausen.

     

    Gib einfach 'Gerson Liebl' bei Google ein!

     

    In den Artikeln werden sowohl einige Namen von Mittätern und Verantwortlichen für die Deportation Herrn Liebls, speziell aus dem bayerischen Straubing, als auch die an der Verfolgung Herrn Liebls beteiligten Berliner Behörden - z. B. Agentur für Arbeit, Abschiebegefängnis Grünau - genannt.

     

    Im Ausländeramt von Straubing lagert laut Berliner Zeitung auch noch eine Kiste mit Aktenordnern, die die Bemühungen um rechtliche Gleichstellung mit den Aussiedlern aus Kasachstan - Nachkommen der ehemaligen Wolgadeutschen - durch Herrn Liebl dokumentieren.

     

    Das kolonial-kaiserliche Rassengesetz, das Mischehen zwischen Deutschen und TogoerInnen verbietet, ist demnach noch in Kraft - trotz rot-grüner Bundesregierung von 1998 bis 2004!

     

    Ich stimme Dir in Deiner Kritik an den deutschen Mainstream-Zeitungen hinsichtlich der fehlenden Berichterstattung zur Abschiebung Gerson Liebls völlig zu.

     

    Es gibt im deutschen Medienrecht, anders als es im liberalen England der Fall ist, leider die Tendenz zur sogenannten Hofberichterstattung. Verantwortliche und Missetäter werden selten beim Namen genannt, geschweige denn an den Pranger gestellt, wie das nicht zuletzt auch aus pädagogisch-erzieherischen Gründen in Britain medial Usus ist, was ich sehr begrüße!

     

    Nach dem deutschen Untersuchungsausschuss-Gesetz kann das Parlament sogar beschließen, die Untersuchungsausschüsse unter Ausschluss der Öffentlichkeit hinter verschlossenen Türen tagen zu lassen.

     

    Soweit zum Partizipationsverständnis deutscher Politiker!

     

    Über Menschenrechtsverletzungen aus dem eigenen Land wird, wie mir auch aufgefallen ist, selten auf den Seiten 1 berichtet, und im Deutschlandfunk aus Köln oder im Deutschlandradio Kultur Berlin wird das Thema eher stiefmütterlich behandelt, von den stündlichen Nachrichten ganz zu schweigen.

     

    Ich nehme an, dass nach außen hin das Bild von der 'Kulturnation Deutschland' im Sinne des Biedermeierstils - Konzertsäle und Kaffeekränzchen mit J. W. Goethe - propagiert werden soll?

     

    Die Reflexion der Realitäten ist dabei unerwünscht.

     

    Liebe Grüße,

     

    Elisabeth

  • MK
    Michael Klelin

    RAssistisches Denken??? Warum so bescheiden Herr Gessler? Nennen wir es doch ganz einfach faschistoides Denken, erinnert einen diese und andere Abschiebungen aus Deutschland (man denke nur an die Abschiebung der schwangeren Gazale Salame im Februar 2005) an die massenhaften Zwangsdeportationen von Juden, Sozialdemokraten, Sozialisten, KOmmunisten, Schwulen und Lesben zur Zeit des Hitlerfaschismus! Ein Ordensbruder des Vereines "Ordensleute für den Frieden" sagte mir einmal "Wir stehen kurz vor einem globalen Holocaust!" Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen!

  • A
    anke

    So schnell kann's gehen! Rassist ist nach Ansicht von Philipp Gessler offenbar jeder, der einen Schwarzen nicht einbürgert, obwohl dessen Großväter schwarz aber immerhin adlig bzw. weiß und sogar Deutscher waren. Dabei: Es gibt ja eine Menge Gesetze in diesem Land, aber ganz sicher keins, demzufolge automatisch Deutscher wird, wer nur lange genug darum "kämpft". (Darüber bin ich persönlich übrigens ausgesprochen froh, denn gekämpft wird hier und heute meiner Meinung nach wirklich schon genug, zum Teil sogar vollkommen sinnlos und vor allem oft mit ausgesprochen unfairen Mitteln.)

     

    Wir leben in einem Staat, dessen Bestand zumindest partiell noch immer auf dem (mitunter erstaunlich ausgeprägten) Vertrauen in geschriebene Worte besteht, die in Folge mehr oder weniger demokratisch ablaufender Prozesse Gesetz geworden sind. Nicht wenige Menschen auf dieser Erde beneiden uns darum. Der genannte Umstand hat allerdings leider nicht nur positive Folgen. Im Fall des Herrn Gerson Liebl hatte er eher negative Konsequenzen: Eine deutsche Staatsangehörigkeit wurde ihm weder verliehen noch zugestanden, weil er die dafür laut Gesetz notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt: Togo hat nie zur Sowjetunion gehört, Liebls Eltern wurden offenbar im Ausland geboren (Togo war nur bis zum 1. Weltkrieg deutsche Kolonie), haben nie in Deutschland gelebt und waren wohl auch nie nachweislich irgendwo als Deutsche registriert. Liebl selbst ist weder von Deutschen adoptiert noch in Deutschland geboren worden und Flüchtling oder Vertriebener im Sinne des Art. 116 GG ist er (zumindest bis bis zu seiner Abschiebung ;-C) auch nicht gewesen. Dass damit allerdings gleich eine Ungleichbehandlung verbunden gewesen sein muss, kann wohl nur der behaupten, der die Hürden nie selbst überwinden musste, die beispielsweise ein Spätaussiedler zu nehmen hat, bevor er sich Bundesbürger nennen darf.

     

    Nein, Gerson Liebl ist vermutlich kein Opfer rassistischer (Staats-)Gewalt geworden. Er ist "bloß" in eine Gesetzeslücke gefallen. Sein Kampf war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, weil der deutsche Rechtsstaat Fälle wie seinen einfach nicht regelt. Das ist allerdings weniger denen anzulasten, die in den Verwaltungen für den Vollzug unserer Gesetze zuständig sind, als vielmehr jenen, die Herrn Liebl VOR seiner Abschiebung weder persönlich beraten noch sich RECHTZEITIG und AUSREICHEND dafür engagieren haben, dass es überhaupt sinnvolle Regeln gibt. Leuten wie Phillipp Gessler zum Beispiel, dem der Mann willkommener Anlass zu sein scheint, die Wiederbelebung vorzeitlicher Blutrechte zu propagieren, obwohl wir eigentlich ein vernünftiges Einwanderungsrecht bräuchten. Und der wahrscheinlich nur deswegen nicht helfen konnte, weil die deutsche Verwaltung in ihrer Gesamtheit rassistisch ist.

     

    Ja, Gerson Liebl sollte ein Recht haben, in Deutschland zu leben. Aber nicht, weil einer seiner Ahnen mal weißer Arzt in Straubing war (seinen Ahnen ist man schon genug ausgeliefert). Gerson Liebl sollte ein recht haben, Deutscher zu werden, weil er es sein wollte.

  • CD
    Carl der alte Brigadier

    Ich bin entsetzt! Die Kaste der bayerischen Verfassungsfeinde und Zivilisationsverweigerer hat einmal mehr ein rassistisches Exempel statuiert. Wieviel den bayerischen Administratoren der Schutz von Ehe und Familie nach Grundgesetzartikel 6 Abs. 1, der meines Erachtens dringend einer Ergänzung hinsichtlich nichtehelicher elterlicher Lebensgemeinschaften bedarf, wert ist, hat die Entscheidung, Gersom Liebl von seiner Frau und seinem achtjährigen Sohn ins Ungewisse zu deportieren, grausam gezeigt.

     

    Der Rassismus gegenüber Menschen und Mitbürgern mit afrikanischem Migrationshintergrund ist in der Bundesrepublik Deutschland anno 2009 genauso virulent wie vor 100 Jahren. Dieses Land ist so rassistisch konstituiert wie es Österreich, die Schweiz und Berlusconi-Italien sind.

     

    Sollte man deshalb nicht von der Achse der Rückständigkeit gegenüber humanistischeren und und integrierteren Gesellschaften wie Großbritannien mit seiner langen Geschichte des Commonwealth, oder gemessen am progressiven Staatsbürgerschafts- und Familienzusammenhaltsrecht Frankreichs, sprechen?

     

    Was mich nicht minder entsetzt und abstößt, sind die ausbleibenden Reaktionen seitens der deutschen Zivilgesellschaft! Gerne zeigt man mit dem Finger auf die Volksrepublik China, aber läßt das eigene Unrecht geschehen. Das ist doppelbödig!

     

    Warum reagieren die Studierenden zwischen Kiel und Konstanz sowie der DGB nicht mit Massendemonstrationen, Streiks und Straßenkampagnen auf diese rassistische Politik Deutschlands, derzufolge es Einwanderer 1. und 2. Kategorie bzw. Klasse gibt?

     

    Treibt die Studis von heute wirklich nichts anderes mehr um als die Angst vor Studiengebühren? Gott, wie erbärmlich unsolidarisch die doch quantitativ geworden sind!

     

    Wo bleiben die kritischen Stellungnahmen von Linkspartei, Grünen, SPD und FDP?

     

    Gibt es keine gemeinsame Medienoffensive linksliberaler Medien gegen den Administrations- und Alltagsrassismus in der BRD?

     

    Ist die Abschiebung Gersom Liebls, diese zum Himmel stinkende Ungerechtigkeit einer rassistischen Weltanschauung, denn nicht wirklich

    Grund genug für die IG-Metall, ver.di, GEW etc., ihre Mitgliedschaften zu mobilisieren, um sich mit den Opfern solidarisch zu zeigen?

     

    Wäre es nicht an der Zeit, dieser etablierten politischen Lethargie in der Bundesrepublik Deutschland den Rücken zu kehren, Paroli zu bieten und eine Zivilgesellschafts-Gewerkschaft, eine Zivilgewerkschaft, zu gründen?

  • EG
    Elke Grandison

    Guten Tag,

    mich interessieren Namen und Positionen der Verantwortlichen. Wer die Abschiebung betrieben hat, muß die Konsequenzen der eigenen Veröffentlichung hinnehmen; intensieve Befragung gehört dazu.

    Ich möchte die Verantwortlichen wissen lassen, dass kleine Leute wie ich sehr wohl Druck ausüben können. Ich arbeite in London und teile meinen Kollege ein anderes, aktuelles Bild von Deutschland mit. Dabei kann es natürlich auch passieren, dass die örtliche Presse davon hört.

    Bemerkenswerter Weise finde ich in anderen deutschen Zeitungen kein Wort bezüglich der Abschiebung. Danke für den Artikel

    Ihre E. Grandison