Kommentar 10-Punkte-Plan: Ungebremste Fleischeslust
Die Reformen sind sinnvoll und gehen in die richtige Richtung. Aber sie stabilisieren ein System, das weder ökonomisch noch ökologisch oder gar ethisch eine Zukunft hat.
W ürde es Ihnen einfallen, braune Schuhcreme und Nutella in zwei nebeneinander stehenden Maschinen zu produzieren? Bei so großer Verwechslungsgefahr? Eher nicht. Aber die Agrarminister von Bund und Ländern haben Jahrzehnte und mehrere Skandale gebraucht, um zu dieser Einsicht zu gelangen. Gestern stand deshalb auf ihrer Tagesordnung, dass Futter- und Lebensmittelfette in Zukunft nicht mehr im selben Betrieb hergestellt werden sollen.
Das klingt wie gesunder Menschenverstand - und zeigt das Problem. Denn es gehört eigentlich auch zu Verstand und Anstand, dass man Hühnerküken nicht gleich nach dem Schlüpfen schreddert, wenn sie zufällig männlich sind, oder Ferkel ohne Betäubung kastriert. All das sind anerkannte Zuchtmethoden in einem Land, in dem zugleich regelmäßig Millionensummen für den Tierschutz gespendet werden.
In der industriellen Tiermast geht es aber nicht um Verstand und Anstand, sondern vor allem um möglichst große Fleischeslust zum möglichst geringen Preis. Sie ist eine milliardenschwere Industrie, die diese Art von Lebensmitteln mit Steuergeld herstellt - und der ab und zu eben ein kleiner Betriebsunfall wie Dioxin im Futtermittel unterläuft.
BERNHARD PÖTTER leitet das taz-Ressort "Wirtschaft und Umwelt".
Dieser Logik bleiben die Agrarminister treu. Ihre Reformen sind sinnvoll und gehen in die richtige Richtung. Aber sie stabilisieren ein System, das weder ökonomisch noch ökologisch oder gar ethisch eine Zukunft hat. Die Maßnahmen sollen das Konsumvolk kurz vor der "Grünen Woche" besänftigen, das sich schockiert zeigt und erst morgen wieder billige Schnitzel will. Vielleicht verhindern die Reformen sogar den nächsten Skandal. Aber der übernächste wird nicht lange auf sich warten lassen.
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