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Kommentar 1. MaiDie Angst vor Verdrängung verbindet

Uwe Rada
Kommentar von Uwe Rada

Hätte der 1. Mai neben der Klage über die Gentrifizierung auch einen Stopp bei der Umwandlung von Ferienwohnungen oder Maßnahmen dagegen gefordert, wäre der Senat weiter unter Druck gesetzt worden.

D er revolutionäre 1. Mai hat wieder ein Thema. Steigende Mieten und drohende Vertreibung haben nicht nur die Gewalt auf der Straße zugunsten der Inhalte verdrängt. Die Sorge um den Verlust der Freiräume und der Siegeszug der Makler hat auch eine neue Betroffenheit ausgelöst. Politik in der ersten Person statt revolutionäre Stammtischparolen: So viel Ernst war selten am 1. Mai.

Ganz ohne Parolen aber kommt auch der "Kampf gegen die Gentrifizierung" nicht aus. Wie sollte er auch, würde doch jede Tiefenbohrung die Widersprüchlichkeit des Themas deutlich machen. Erst kamen die Besetzer nach Friedrichshain, dann die Punks aus Spanien und Polen, später die Backpacker. Nun machen es sich die Touristen in Ferienwohnungen gemütlich, und bestimmt findet sich auch einer, der einst in der Liebig 14 übernachtete und nun eine Wohnung um die Ecke kauft. Die Revolution frisst ihre Kinder - die Revolte schafft Adressen.

Der zweite Widerspruch: Weil sie gegen Kapital und Staat ist, scheut die radikale Linke konkrete Forderungen an die Politik wie der Teufel das Weihwasser. Das ist nicht nur ideologische Folklore, sondern auch zunehmend kontraproduktiv.

Hätte der revolutionäre 1. Mai in Kreuzberg und Neukölln neben der Klage über die Gentrifizierung auch einen Stopp bei der Umwandlung von Ferienwohnungen oder Maßnahmen gegen Umwandlung gefordert, wäre der Senat politisch weiter unter Druck gesetzt worden.

Bislang nämlich hat Rot-Rot beim Thema Wohnungspolitik auch nur Parolen zu bieten. Die dümmste von ihnen lautet: Es gibt kein Problem auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Das weiß jeder besser - nicht nur am 1. Mai.

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Uwe Rada
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.
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2 Kommentare

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  • F
    Frank

    Zweck, Methode und Konsequenz der Wohnraumbewirtschaftung

     

    Die Wohnung. Voraussetzung und Lebensmittelpunkt der Existenz.

    Hier gehen die Kinder zur Schule. Im deren Umkreis leben die Freunde und Bekannten. Das ist keine Kleinigkeit, sondern der zentrale Ort der Lebensgestaltung und der Lebensführung. Ein Umzug bedeutet fast immer den Verlust dieses gesamten sozialen Umfeldes.

    Jetzt reden wir von der Zwangsräumung durch Mietsteigerung. Ein ganz normaler, gesetzlich geregelter, friedlicher Vorgang. Der Fachmann und solvente Schönredner sprechen lieber von "natürlicher Fluktuation". Die Gegner sprechen von irgendwas mit G was Sie dann hinterher, weil das Wort niemand versteht, stundenlang erklären müssen.

    Es gilt als normal, dass Wohnraum bewirtschaftet wird. Pro Quadratmeter Lebensraum hat jeder Mensch eine Miete zu zahlen. Welche Interessen und Faktoren bestimmen eigentlich die Höhe des abzuliefernden, monatlichen Geldbetrages?

     

    1. Es muss Eigentümer von Wohnraum geben, die über eine über den Eigenbedarf hinausgehende Menge an Wohnraum verfügen. Die Beschaffung oder auch der Neubau von Wohnraum ist von vornherein als Geschäftsmittel kalkuliert. Die Eigennutzung ist nicht das Interesse der Investoren.

    Die Höhe des Einkommens der Bauherren, muss geeignet sein nicht nur den Eigenbedarf an Wohnraum, sondern zusätzlich auch den Vermietungsgegenstand zu kaufen (das werden im Laufe der Zeit auch schon mal ganze Stadtviertel).

     

    2. Es muss Nichteigentümer geben, die aufgrund der Höhe ihres Einkommens lebenslang auf eine Mietwohnung angewiesen sind, weil der Kauf einer Wohnung für diese Einkommensschichten unmöglich ist. Diese Bevölkerungsteile sind die Zielgruppe der Investoren ! Sonst, macht das kein Mensch !

     

    3. Das Interesse des Vermieters besteht in der Verwertung des Wohnraumes. Eine Verwertung ist nicht identisch mit der Umlage der Aufwendungen für Erhaltung und Pflege auf die Mieter. Das Interesse zielt hier auf eine dauerhaft zu erbringende, prozentuale Differenz zu diesen Aufwendungen.

    Vergleichsmaßstab ist hier die Verzinsung am Kapitalmarkt.

     

    4. Die Nichteigentümer konkurrieren um das Wohneigentum ihrer Arbeitgeber und Vorgesetzten, diese Voraussetzung und Lebensmittelpunkt auch Ihrer Existenz.

     

    5. Die Konkurrenz der Nichteigentümer um Wohnfläche wird zusätzlich verschärft durch die gewerblichen Konkurrenzteilnehmer. Diese Akteure sind in der Lage den zu entrichtenden Mietzins auf die Verkaufspreise ihrer Dienstleistungs- und/oder Warenangebote umzulegen. Das bedeutet, dass der Endkunde anstelle des Gewerbetreibenden im Resultat die Kosten zu tragen hat. Dieser Umstand ermöglicht im Vergleich zur Zahlungsfähigkeit der lohnabhängigen Mitbewerber die Zahlung von höheren Mieten

     

    6. . Hinzu kommen staatlich verfügte Mietsteigerungsoptionen.

    Jede Modernisierung ist umlagefähig. Das heißt nicht, dass die Kosten der Modernisierungsmaßnahme –einmalig- durch den Mieter zu erbringen sind, sondern bedeutet, dass die Höhe des Mietzinses –dauerhaft- steigt. Jeder Mieterwechsel berechtigt den Eigentümer des Wohnraumes die Verzinsungsbasis vollständig neu festzulegen. Der sogenannte Mietspiegel ist eine periodisch erstellte, regional sortierte Kalkulationsgrundlage für Eigentümer und Wohnraumanbieter. Der Rückbau von Wohnraum, also Abriss, eine weitere willkommene und legale Methode der „Marktpreissteuerung“ (usw. usw.).

     

     

    Und deshalb, heißt es für immer mehr Menschen "Raus".

    Und wie Sie sich sagen lassen dürfen, ein "natürlicher" Vorgang, die Grundlage einer flexiblen Lebensplanung, nur zu Ihrem Besten... Der ökonomisch erzwungene "Entschluss" zum Umzug, wird von den Initiatoren dieser Notlage gern als Freiheit der Wohnraumwahl einer betroffenen Öffentlichkeit vorgestellt. Auf dem Land ist es schöner, stressfreier und in weniger als 2 Stunden (das IST zumutbar) sind sie am Arbeitsplatz. Die Regel ist ein Umzug in die Wohnsilos am Stadtrand. Dort dürfen Sie dann, für ihren Chef, auch die Gewinne erarbeiten die man braucht um Wohnraum zu kaufen...

    Und kaum 70 Jahre nach Kriegsende, schauen Sie sich noch einmal die alten Fotos an, dürfen die Bauarbeiter ausziehen. Der Wohnraum gehört den Leistungsträgern dieser Gesellschaft. Und über die Miete, und den Preis den die Produzenten dieses Reichtums für die Nutzung der von ihnen selbst hergestellten Häuser und sonstiger Gebrauchswerte zu zahlen haben, fließt auch der gezahlte Lohn an die "Arbeitgeber" zurück.

    Ein praktischer Kreislauf, wenn man !produktives! Eigentum sein eigen nennt. Ganz anders für diejenigen, welche von dem Geld leben müssen, welches die Leistungsträger dieser Gesellschaft in den Lebensunterhalt der mittellosen Mehrheit zu investieren bereit sind.

    Ihre Armut, ihre Mittellosigkeit, reproduziert sich oder wird, denken Sie an die Millionen von "Arbeitslosen", unmittelbar Sichtbar!

     

    Ist das die spätrömische Dekadenz von der öffentlich die Rede war..?

     

    Wie Sie wissen, ganz im Gegenteil. Das alles wird über Verträge geregelt, ganz friedlich, ohne Gewalt. Die durch das Eigentum an Produktionsmitteln hergestellte Mittellosigkeit erzeugt den Druck zur Unterschrift unter diese Verträge, welche die Bedürftigkeit nicht beseitigen, sondern deren gesellschaftliche Grundlage vergrößern! Deswegen werden die Reichen immer reicher und die Armen immer unterwürfiger und bescheidener! Gerade auch die Millionen von "Jobs" deren Bezahlung nicht einmal ausreicht die Existenz zu sichern, sind als "Arbeitsplatzangebot" legal, und werden bei "Arbeitslosigkeit" als Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht sanktioniert. Mit der Zeit sinkt das Lohnniveau insgesamt, für jeden. Kritik an diesen Zuständen wird öffentlich nur noch am Sozialstaat geäußert. Hartz4 ist bekanntlich viel zu hoch bemessen, und die Löhne noch zu teuer um den Eigentümern dieser Welt einen betriebswirtschaftlichen Grund zu liefern, anderen für die Vermehrung ihres Eigentums einen Lohn zu zahlen.

     

    Und wer keinen Lohn oder davon zu wenig sein Eigentum nennen darf, hat dann eben was falsch gemacht in seinem Leben... zu faul, zu dumm, zu anspruchsvoll.

     

    Aber es gibt Schlimmeres als lebenslang auf das Angebot zum Dienst an fremdem Eigentum angewiesen zu sein:

    Linke, die sind kontraproduktiv und schrecken auch vor Gewalt nicht zurück.

     

    Herrliche Zeiten; Der oben bereits angesprochenen Kreislauf, auch bekannt als Marktwirtschaft, Kritiker sprechen von der politischen Ökonomie, will noch einmal genauer untersucht werden:

    Das Interesse der Eigentümer dieser Welt ihren Reichtum zu vermehren, bewerkstelligen diese Herren selbstverständlich nicht in Eigenarbeit. Eigentum ist das exklusive Nutzungsrecht an einer Sache. Der Besitz von 5 Wohnungen oder 1 Fabrik ist Reichtum aber nicht identisch mit der Vermehrung von Reichtum. Im Gegenteil. Das Geld ist zwar angelegt, aber es vermehrt sich nicht. Weil aber die gesamte Gesellschaft auf die Nutzung dieser Mittel und Voraussetzungen der Reproduktion (Lebensmittel müssen produziert werden, bevor man etwas essen kann) angewiesen ist, und die Mehrheit durch das Eigentum -keinen- Zugang zu diesen Produktionsmitteln hat, muss diese Mehrheit einen Zugang zu den Wohnungen und Fabriken finden.

    Aber, nur weil diese Mehrheit eine Wohnung oder einen Lohn braucht, heißt das bekanntlich nicht, dass dieses Bedürfnis befriedigt wird. Einkommens- und Obdachlose sind reichlich vorhanden!

    An dieser Stelle setzt jetzt der Eigentümer an, und verwirklicht sein Interesse. In Form des Angebotes, ganz friedlich, werden die Bedingungen der Nutzung seines Eigentums verkündet. Das kommt ganz harmlos daher, als Stundenlohn. Oder, auf der anderen Seite als zu zahlender Preis für Waren.

     

    Die Beseitigung der prinzipiellen Mittellosigkeit der Nichteigentümer, ist als –Möglichkeit- des Verkaufs von Arbeitskraft organisiert. Wohlgemerkt, nur solange das Angebot an Arbeitsplätzen reicht, und nur unter der Bedingung der Rentabilität der eingesetzten Arbeitskraft.! Das heißt erstens nicht, dass jeder der einen Lohn braucht um in einer Welt in der alles seinen vom Käufer der Arbeitskraft kalkulierten Preis hat, überhaupt einen Lohn bekommt. Zweitens steht damit fest, dass die eingekaufte Arbeitskraft so benutzt wird, dass der zu zahlende Preis für Arbeitskraft, der Lohn, auf jeden Fall geringer sein muss als der Wert der produzierten Güter. Sonst entsteht kein Gewinn!

    Nach getaner Arbeit ist ein Lohn zu zahlen und es sind Sozialabgaben zu entrichten. Das Produkt der Arbeit jedoch bleibt Eigentum des "Arbeitgebers". Über den Verkauf der Produkte an dessen Hersteller beabsichtigt der Eigentümer dann den Gewinn zu erwirtschaften.

    Bleibt dieser Gewinn aus, entfällt die Motivation der Eigentümer am Einsatz von Arbeitskraft, und damit die Existenzgrundlage der Nichteigentümer.

    Gelingt das Geschäft, liefert der erwirtschaftete Gewinn dem Eigentümer die finanziellen Mittel zur Einsparung von Arbeitskraft durch Wissenschaft und technischen Fortschritt. Auch alternative Investitionsziele wie der Immobilienmarkt sind Realität.

    Jede Investition

    • vergrößert die zu bedienende, von der eingesetzten

    Arbeitskraft zu erarbeitende Zinsbasis

    (10 % von 100 = 10;

    Reinvestiert werden 5;

    10% von 105 = 10,05)

    • vergrößert die Menge an exklusivem, produktiven Eigentum

    • vergrößert im Ergebnis die Erpressbarkeit der

    Nichteigentümer

     

    Das regelmäßige, gesellschaftliche Resultat dieses Kreislaufs ist die Vermehrung des Reichtums der Eigentümer und die Wiederherstellung der Armut ! auf Seiten des "Tarifpartners" (der Lohn ist weg!, als Preis für die selbst erstellten Produkte). Nach und nach, schrittweise, wird der gesamte gesellschaftliche Lebensraum privatisiert, zum exklusiven Eigentum.

    Weil die Bedürftigkeit, die Armut an Produktionsmitteln und Existenzvoraussetzungen auf die oben beschriebene Art und Weise politisch organisiert ist, schreien alle nach Arbeit. Auch, und gerade dann, wenn die Eigentümer entlassen, den Lohn senken oder die Preise erhöhen.

    Menschen wollen dieser Vermehrung fremden Eigentums dienen, weil sie politisch dazu, über das Eigentum, hergerichtet sind. Linke können und wollen das kritisieren. Aus diesem Grund sind Linke nicht sehr beliebt bei den Leistungsträgern dieser Gesellschaft; Spätestens seit der französischen Revolution. Und man ist vorbereitet.

    Wer nicht pariert bekommt solange den verhältnismäßigen Einsatz von staatlicher Gewalt zu spüren (Presse, Justiz, Polizei, Hartz4 usw.), bis die Bereitschaft der Vermehrung fremden Eigentums zu dienen als "freiwillige" Leistung erbracht wird. Respekt, Loyalität, ja eigentlich auch Dankbarkeit, sind ja wohl das Mindeste was die Risiko- und Leistungsträger als Beweis der Gesinnungstreue erwarten dürfen.

    Ach ja, eines fehlt noch. Die Forderung:

    Wir fordern die Verfügungsgewalt über die gesellschaftlichen Produktionsmittel und die Verteilungshoheit über die Resultate unsere Arbeit. Den Lohn dürfen Sie, dann behalten.

     

    Endlich mal was anderes als die kontraproduktive, ideologische Folklore. Einverstanden?

  • O
    oberbaumcity

    Lieber Uwe Rada,

     

    herzlichen Dank, für diesen Kommentar!

    Besonders "Das ist nicht nur ideologische Folklore, sondern auch zunehmend kontraproduktiv." bringt es in einer selten dagewesenen Präzision auf den Punkt.

    Einen Schönheitsfehler hat der Text allerdings: unter keinen Umständen bringt eine Forderung auf einer 1. Mai-Demo den Senat wirklich in Zugzwang.

    Dazu wäre eine ernstzunehmende, bevölkerungsübergreifende Arbeit, die auf Dauer angelegt ist nötig. Und genau das kann die Szene nicht. Ihre einzige Methode sind Latschdemos, die mal mehr, mal weniger gewaltbereit ausfallen. Ansonsten keine gleichberechtigte Zusammenarbeit mit Personen außerhalb des Szenesumpfs, Märtyrertum und unreflektiertes Handeln. Ob sich etwas in der Stadt ändert ist zweitrangig, Hauptsache Mann! (Antifamacker) kann sich auf der Demo zeigen und mit "entschlossenem und kraftvollen" Auftreten bei den Szenegirlies punkten.

    Wer bitte soll das ernst nehmen?