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KolumneDie Alleinseglerin

Nach vier Jahren Ost-West-Kolumne ist jetzt Schluss: Zum Abschied geht Rotkäppchen segeln.

Ich war vor wenigen Tagen das erste Mal segeln. Ich habe Dany, mit der ich vor zwanzig Jahren zusammen studiert habe, besucht. Sie hat mit ihrem Mann Ecki ein Gartengrundstück südwestlich von Berlin gepachtet, in Wildenbruch am Seddiner See. Ecki, den Dany "Eckehard!" ruft, wenn der Spaß ein Loch hat, holte mich am Bahnhof in Michendorf ab. Ich hatte frische Brötchen und Croissants dabei. Ich war nicht nur hungrig, sondern auch mächtig neugierig.

Michendorf kannte ich bisher nur als Autobahnraststätte an der ehemaligen Transitstrecke mit mehreren Intershops. Es ist anzunehmen, dass in jedem zweiten Überraschungsei ein Stasispitzel saß. Denn die Raststätte war auch ein beliebter Treffpunkt für Ost und West. Nun also ab in die Sommerfrische in eine fünf Kilometer entfernte Gartenanlage. Auf dem Weg dorthin bereitete mich Ecki schon auf das Kommende vor. Er erzählte mir, dass viele der Holzhäuschen früher als konspirative Stasi-Treffpunkte genutzt wurden. Ich glaubte es ihm aufs Wort, als ich den mächtigen Eisenzaun sah, der das Gelände sicherte. Der war zwar ebenso neu wie der dazugehörige Chip zum Öffnen, doch der Überwachungsgeist waberte noch durch Johannisbeersträucher und Nachtschattengewächse. Kaum befuhren wir das Areal, wurden wir von einer Überwachungskamera gefilmt.

Auf einer großen Wiese am See stand ein knappes Dutzend Holzhäuschen so nah beieinander, dass ich mir rechts und links von unserer Veranda locker ein Brötchen aus einem benachbarten Brotkorb hätte nehmen können. Auffällig viele Pächter, das war nicht zu überhören, stammten aus Sachsen und Sachsen- Anhalt. Ihre nach der Wende geborenen Kinder hörten auf Namen wie Kevin und Stan.

Ecki und Dany hatten von einem Nachbarn ein altes Segelboot geschenkt bekommen, das dieser nach der Wende für einige hundert Westmark am Wannsee erworben hatte. Als wir am Bootssteg standen, sah ich eine kleine Jolle, gestrichen in einem verblassten Himmelblau, die mich an den Defa-Film "Die Alleinseglerin" von 1987 erinnerte.

Es ist die Geschichte von Christine, einer berufstätigen alleinerziehenden Mutter, die ein altes Segelboot von ihrem Vater erbt. Aufgerieben zwischen ihrer Arbeit in einem Forschungsinstitut und ihrer Sehnsucht nach ihrem geschiedenen Mann, empfindet sie den Kahn als zusätzliche Belastung. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich mich total aufgeregt habe, warum sie das Boot nicht als Zeichen des Ausbruchs aus ihrem Alltag versteht. Geradezu verbissen investiert sie jede freie Minute und jeden Pfennig in das Boot, um es vielleicht doch gewinnbringend verkaufen zu können. Sie vernachlässigt dabei ihren Sohn, ebenso den Freund, der sie schließlich verlässt, und setzt ihre Forschungsarbeit in den Sand. Als sie den Kahn auf Vordermann gebracht hat, will sie ihn natürlich nicht mehr hergeben. Stolz und glücklich gibt sie sich auf ihm ganz allein dem Wind hin.

Das wollte ich nun auch machen. Der Zustand von Eckis Boot passte hervorragend dazu. An einigen Stellen sickerte das Wasser durch. Die Segel waren hier und da eingerissen. Eine leichte Brise trieb uns sachte vom Bootssteg weg. Dany winkte uns zu. Das Boot war so klein, dass ich in gebückter Haltung auf einer der schmalen Bänke saß.

Ich hatte Angst, dass mir der Segelbaum gegen den Kopf knallen könnte. Bereitwillig führte ich Eckis Anweisungen aus, das große Segel festzumachen und das kleine Segel loszulassen oder umgekehrt. Wir kamen in Fahrt und steuerten geradewegs auf das Schilfufer zu.

"Klar zur Wende?", rief Ecki. Klar war ich bereit zur Wende. Doch ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich kam mir vor wie auf einer Montagsdemo. Klar zur Wende, das hatte ich doch schon mal gehört. Genau. Auf der Großdemonstration in Ostberlin am 4. November 1989, als der Begriff bereits in der Luft lag, zog die Schriftstellerin Christa Wolf einen Vergleich zur Wende beim Segeln. Da ruft der Kapitän "Klar zur Wende", weil der Wind sich gedreht hat. Und die Mannschaft duckt sich, weil der Segelbaum über das Boot fegt. "Klar zur Wende!", rief ich Ecki zu und signalisierte ihm meine Bereitschaft, einen Kurs zu fahren, bei dem der Wind von der anderen Seite weht. Nach vier Jahren ist das die letzte "Rotkäppchen"-Kolumne. Ich mache mich selbstständig und werde eine publizistische Alleinseglerin. Klar zur Wende? Klar zur Wende!

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3 Kommentare

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  • H
    HKW

    Auf B.B. habe ich immer gewartet. Schade für die taz und die Leser. Alles Gute und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel!!!

  • A
    Anke

    Seltsam, das Leben, und ganz anders, als die Mathematik. Man kann gut dreihundertundsechzigmal wenden und doch nie irgendwo auch nur ungefähr zum zweiten Mal ankommen. Zumindest kann man sich das einbilden, und so lange man nicht nach dem Sinn der Übung fragt, ist das auch ganz in Ordnung so. Muss wohl der Fahrtwind sein, der den Reiz der Lebenswenden ausmacht. Viel Vergnügen also auf dem Wasser - und fangen Sie bloß nicht an, irgendwelche Proben der Flüssigkeit im Labor zu analysieren.

  • BC
    Bettina Courant

    Alles Gute für die Selbstständigkeit! Aber das Rotkäppchen werde ich sehr vermissen. Muss das wirklich aufhören?