Kolumne: 500 Millionen Euro futsch!

Noch mehr Lob der Provinz: Warum Landkreise die richtige politische Ebene sind und in Bad Tölz was geht.

Danke, danke für die hilfreiche Kritik an meiner rosa Urlaubsbrille. Mit der hatte ich in der letzten Kolumne in euphorischer Sommerlaune die Landbevölkerung der schwäbischen Ostalb über den Schellenkönig gelobt. Beim Anblick der vielen neuen Solaranlagen spielten wohl bei mir die Module verrückt (Ökosex vom 27. 7. 2007).

Natürlich habt ihr recht, liebe Klimaclubfreaks auf dem Land. Ihr müsst auch viel mitmachen. Natürlich gibt es den Neubauquadratmeterwahn, die Riesenkutschen vor der Tür, und die Bürgermeister werden immer noch von der EnBW zu netten Ausflügen eingeladen.

Ich bin zwar optimistisch, aber nicht blind. Der Mainstream der Landbevölkerung träumt trotzt Photovoltaikboom immer noch von der prall gefüllten Dreiergarage. Da muss Ökosex natürlich noch kräftig die Emotionen umprogrammieren. Aber, und das bleibt mein Mantra, es gibt Landkreise, wo energiepolitisch der Punk abgeht. Oft da, wo es niemand vermuten würde. Dazu heute mal ein Starschnitt zum Ausschneiden und Nachahmen.

Bewundernd verfolgt Ökosex die Arbeit der Energiewende-Oberland.de. Das ist eine Bürgerstiftung in Bayern, die in den Landkreisen Bad Tölz-Wolfratshausen und Miesbach was Erstaunliches geschafft hat: einen politischen Beschluss der Kreistage für eine regionale Energiestrategie. Ziel ist, dort in 30 Jahren ausschließlich erneuerbare Energien aus der Region zu verbraten. Also eine waschechte regionale 100-Prozent-Strategie. Vorteil einer solchen Vision: Plötzlich geht es nicht mehr nur um ein bisschen Energiesparen hier und um ein Solarprojekt auf dem Schuldach da. Da muss man tatsächlich die Potenziale der verschiedenen Energien für die Region auf den Tisch legen. Was geht bei Geothermie, Biomasse, solar, Effizienz und Pipapo? Noch ein Vorteil: Das ist dann nicht nur ein Projekt von ein paar versprengten Ökos wie bei vielen früheren Agenda-21-Gruppen. Die Stiftung bringt einzelne BürgerInnen, Gemeinden, Landkreise, heimische Handwerker, Unternehmen und Banken zusammen. Dabei sind diese Landkreise ganz normal bayerisch aufgestellt, also mit CSU-Mehrheit und allem Drum und Dran. Wo gibts denn so was? Sind die Buam und Madln denn plötzlich alle zünftige solare Effizienzrevolutionäre? Martina Raschke, Vorstand der Bürgerstiftung, hat mir mal erzählt, warum das im bayerischen Oberland geklappt hat. Es war der Gedanke "500 Millionen Euro futsch". So viel nämlich wird im Jahr ungefähr in den beiden Landkreisen in Energie investiert. Das ist Geld, das für die schröcklichen fössilen Brönnstöffe abflößt und deshalb kaum regionale Wertschöpfung bringt. Es machte in Miesbach und Bad Tölz wohl enormen Eindruck, dass jemand mal so eine Zahl berechnet hatte und damit hantierte.

Also, liebe Nachahmer, der Schlüsselbegriff heißt regionale Wertschöpfung und in diesem Fall nicht Ökosex. Die 500 Millionen Euro, das ist unsere Kohle! Die reißen sich die Ölmultis, die Gasbarone und die Strommonopolisten unter den Nagel. Darum frisch ans Werk: Schätzen oder errechnen Sie mal für Ihren Landkreis so einen Betrag, schreiben Sie ein Strategiepapier für einen regionalen Beschluss, und dann ran an die lokalen und regionalen Mandatsträger. Und wer kann schon dagegen sein, unser Geld in der Region zu halten, eben bei uns BürgerInnen, den Handwerkern, den Bauern oder heimischen Unternehmen. Arbeitsplätze! Kleiner Tipp, nachdem ich als Miesbach-Nachahmer in einem schwäbischen Landkreis schon einige Erfahrungen gemacht habe. Klimaschutz kann man auch erwähnen, aber nicht ganz vorne. Vorher schnell das schöne Kochbuch lesen: "Auf dem Weg zur 100 % Region" (von B. A. U. M.), da steht drin, wie man so eine regionale Initiative am besten anleiert.

Jetzt noch Neues von meinem Freund Dommy, bei dem wir letzte Woche die Solarkollektoren montierten. Was haben wir gestern gelacht. Für Heizungsunterstützung gibt es jetzt plötzlich wieder 105 Euro Förderung pro Quadratmeter.

Take it away, Baby.

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