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KolumneBin ich etwa doch Päderast?

Eine Kindstaufe, viel Knipserei mit der Digikamera und ein Akt von Selbstzensur.

Neulich in einem anderen, wenngleich nicht so fernen Land wurde ich über Nacht Pate. Die Mutter des Kleinen und ich kennen uns lange, und es gibt kein Missverständnis: Sie hat es wie ich mit dem Männlichen - dafür ist die Freundschaft innig. Sie fand es gut, dass ihr Sohn, acht Jahre alt, einen Paten bekommen könnte - der biologische Vater nimmt es mit seinen Beschützertugenden eher von weitem.

Bild: taz

Jan Feddersen,50, ist Autor und Redakteur. Besonders für die Ressorts taz.mag und tazzwei.

Der Kleine ist super. Ein Junge, wie einer sein muss, um mein Herz zu erobern. Die Taufe, russisch-orthodox in lettischer Sprache, war herzergreifend, die Kathedrale bot zu viel Prunk, als dass die Zeremonie als nur beiläufig hätte empfunden werden können. Anderntags, von mittags bis abends, am Strand gespielt, alles erledigt, was Jungs, kleine wie große, gern mögen. Arschbombe, Tauchen, Fußballspielen nach Punkten, kurzum: Der ganze Ödipus auf das Schönste - sei mein Behüter, aber lass mich so groß werden wie du!

Fotos habe ich auch gemacht, per Digikamera geht das ja ganz leicht. Die Mutter guckte dem Ganzen mit mächtigen Wohlgefallen zu. Schon da fragte ich mich, und diese Frage habe ich gehasst, dass ich überhaupt stellte: Wie findet sie, dass ein schwuler Mann mit ihrem Jungen so ausgelassen spielt? Und weshalb nehme ich dies überhaupt wahr - als ob das Spiel von einem Mann mit einem Jungen riskant sein könnte, wenn der Erwachsene es erotisch nicht mit Frauen hat? Und fragen sich heterosexuelle Männer eigentlich, spielen sie mit ihren Nichten - von Töchtern zu schweigen! -, ob sich das schickt?

Weshalb also diese Zensur in eigener Sache - ist es denn wirklich so, dass in uns allen, jetzt kommt das böse Wort, ein Kinderschänder steckt, ein Täter im Sinne des Missbrauchs? Und wieso grübelt es in mir so vor sich hin, da ich doch einen Mann bevorzuge, der das biologisch Infantile mindestens 30 Jahre hinter sich hat?

Aus den Ferien zurück. Fotos auf den Computer gespielt. Der Kleine wollte nämlich ein Foto von mir haben. Ganz einfach eigentlich. Aber es gab keine Soloaufnahme, nur eines mit uns beiden. Auf meinen Schreibtisch wollte ich eines von ihm stellen - eine Art Patchworkfamilienaufstellung quasi.

Doch dann wieder dieser Teufel im Kopf. Die Aufnahme vom Kleinen zeigt den spielend im Sand. Meine erste Reaktion war: Kinderschänderfutter! Woher sollen die bei der Internetfirma an der schweizerischen Grenze wissen, dass ich keiner bin? Also noch ein Foto angehängt, auf dass es auf Fotopapier zurückgeschickt werde. Diesmal eines mit uns beiden zusammen. Geht aber auch nicht, ging es mir durch den Kopf. Sieht ja wirklich aus wie eine Mesalliance.

Allmählich wurde ich wütend und trist zugleich: Weshalb machte ich mir schon wieder Gedanken? Letzte Rettung, ein Bild noch hinzugefügt, aufgenommen vor der Kirche, der Junge mit Kornblumen in der Hand, strahlend, zufrieden offenbar, so lese ich sein Gesicht. Und, das ist die Pointe: Neben ihm stehe ich selbst - und seine Taufpatin. Ein wahrhaft heterosexuell übliches elternstimmungsvolles Foto: Gegen so ein Tableau kann doch keine Fotolaborantin etwas haben, das wird sie niemals, aufgepumpt durch allgemeine Hysterie um Missbrauch, dazu bringen, die GSG 9, Sektion Pädofahndung, zu kontakten.

Die Fotos kamen unverdächtig zurück. Meine Fantasie bleibt dennoch haften: Bin ich nun in irgendeiner Kartei? Wahrscheinlich alles Quatsch, aber immerhin ließe sich fragen: Hat all das Reden über Kinder und Sexualität und Erwachsene, die ihnen zwanghaft an die Wäsche wollen, dazu geführt, dass niemand mehr quasi naiv im Sinne der Liebe so unschuldige Dinge tut wie die Organisation von Fotografien, die der familiären Ikonografie dienen? Und ist es nicht mindestens Selbstverdacht, dass schwule Männer glauben, ihnen hafte das Pädosexuelle besonders intensiv an?

Der Kleine hat sich übrigens mächtig gefreut, sagt die Mutter. Hat das Foto von ihm und mir in der Schule herumgezeigt: "Das ist mein neuer Vater", sagt er, "mit dem habe ich Fußball gespielt, und Nintendo versteht er nicht. Nächstes Jahr fahren wir zusammen Kanu. Nur wir beide. Super, wah?"

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