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Kolumne ZumutungFickt euch!

Anja Maier
Kolumne
von Anja Maier

Dass eine Ausbildung zum Hotelfachmann/-frau glücklich machen kann, können Akademikerkinder kaum glauben. Ihre Eltern auch.

Felix jetzt in Cambridge? Nein, er faltet Servietten. Bild: dpa

D ie Einssechzigblondine ist gut drauf. Das merke ich, wenn wir uns treffen. Seit sie nicht mehr bei mir wohnt, lässt sie sich ausgesprochen gern zum Essen einladen. Kürzlich hat es uns sogar in ein Outletcenter verschlagen, wo ich mit ihr die aktuellen Sneakers-Kollektionen hochpreisiger Sportartikelhersteller begutachten musste. Das, was ich da sah, hatten in den Achtzigerjahren die Popper getragen. Aber egal, Hauptsache, das Kind war froh.

Froh ist sie genau genommen, seit sie diese Ausbildung macht. Die Lehre. Sie wird jetzt nämlich „Hotelfachmann/-frau“, wie die Bundesagentur für Arbeit auf ihrer Website schreibt.

Bevor die Einssechzigblondine sich anschickte, Hotelfachmann/-frau zu werden, hatte sie es mit einem Hochschul-/Universitätsstudium versucht. Sie hatte sich etwas besonders Abseitiges ausgesucht, es ging da um ein untergegangenes Wüstenvolk, dessen Dialekte sie trotzdem zu erlernen hatte. Außerdem um Über-/Unterreligionsführer, deren wenige Gläubige heute über den gesamten Globus verteilt sind und sich – vermutlich wegen der ganzen Dialekte – untereinander kaum verständigen können.

Kurzum, die Einssechzigblondine hatte sich ein richtiges Orchideenfach ausgesucht, dessen Unübersichtlichkeit und Nichtanwendbarkeit sich ihr bereits nach wenigen Wochen erschlossen hatte.

Kurzerhand brach sie ab und suchte sich diesen Ausbildungsplatz als Hotelfachmann/-frau. Und da ist sie jetzt glücklich. Schreibt gute Zensuren in der Berufsschule, sieht beim Bankett betrunkenen Versicherungsvertretern beim Immerbetrunkenerwerden zu, wundert sich über Gäste, denen im Hotel die Fähigkeit abhanden gekommen zu sein scheint, eine Toilettenspülung zu betätigen. Eine neue Welt. Eine weitaus strukturiertere Welt vor allem als die des verblichenen Wüstenvolkes.

Unter älteren Eltern ist es ja üblich, sich über die Kinder auszutauschen. Ach, Felix jetzt in Cambridge? Toll, dieses Erasmus-Programm! Luise hängt doch noch den Master dran? Kluge Entscheidung, so ein Bachelor bringt’s ja auf dem Arbeitsmarkt nicht.

Und dann bin ich an der Reihe. Ich erzähle von der Einssechzigblondine und ihrer Ausbildung zur Hotelfachmann/-frau. Die Reaktion darauf ist eigentlich immer folgende: „Na ja, sie kann ja später immer noch studieren.“

Seltsam, diese Leute scheinen zu meinen, es handele sich bei einem Lehrberuf um eine Art Niederlage. Um einen biographischen Lapsus, den es alsbald zu korrigieren gilt. Sie sagen das, während ihnen im Restaurant jemand den Kaffee serviert; verarbeitet, geliefert und zubereitet von Leuten, die dafür eher keine Kaffeeuniversität/-hochschule besucht haben.

Ich erzähle der Einssechzigblondine davon. Sie weiß genau, was ich meine, und deshalb erlaubt sie mir auch, darüber zu schreiben. Und dann diktiert sie mir folgende Botschaft an alle, die meinen, nur ein Master könne ein Master of life sein: „Fickt euch alle! Ich werde nie wieder studieren.“ Sie muss ein bisschen lachen dabei. Das kommt von der ganzen guten Laune. Und den bunten Schuhen.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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16 Kommentare

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  • Von einer anderen Einssechzig-Blondine: Die beste Entscheidung war, nach der Ausbildung noch zu studieren. Ich verdiene mehr bei der Hälfte der Arbeitszeit, muss mich von gefrusteten Kollegen nicht mehr anschreien und schmierigen Versicherungsvertretern nicht mehr auf die Brüste starren lassen. Aber jedem das Seine.

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Tja, probieren ist eben oft besser, als studieren.

  • Dazu kann ich nur sagen:

     

    "Kellner, zahlen!"

    "Dr. Kellner, bitte!"

  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    Gut, aber warum das eigene Kind eine "Einssechzigblondine" taufen? Gab's "meine Tochter" nicht mehr im Phrasendrescherregal?

  • Kein Wunder, dass sich die kleine Blondine jetzt gerne von Mama beim Einkaufen und Essen gehen begleiten lässt, da fällt dann mal etwas ab, dass sie sich in Zukunft nicht mehr leisten kann.

    Man kann an deutschen Hochschulen übrigens sehr lebensnahe und nützliche Berufe erlernen, z. B. Lehrerin, Ärztin, Ingenieurin, Informatikerin, Chemikerin, Designerin, Betriebswirtschaftlerin...alles ehrenwerte Berufe, die große Vorteile bieten: Man arbeitet tagsüber, wird selten angebrüllt und erhält gutes Geld für gute Arbeit. Das ist im Hotelgewerbe nur selten der Fall. Aber vielleicht wird die Blondine durch Lebenserfahrung vernünftig und lernt noch etwas anderes...muss ja nicht unbedingt an einer Hochschule sein.

    • @GerdGrantig:

      Als Ingenieur kann ich nur sagen: Lebensnah ist viel, ein Hochschulstudium allerdings selten. Weil Akademiker noch sehr oft von Großkonzernen eingestellt werden, ohne dort wirklich gebraucht zu werden, wird der Akademikerüberschuss in D noch verdeckt und aufgefangen.

       

      Weil z.B. mein Wissen aus dem Studium an meiner Arbeitsstelle gar nicht gebraucht wird, mache ich nun schlechte Arbeit für gutes Geld. Dafür hätte ich nicht studieren müssen. Nur das Diplom hätte ich gebraucht.

       

      Aber mit der zunehmenden Rationalisierung wird’s immer mehr Unternehmen wie Schuppen aus den Haaren fallen, dass die ach so gschtudierten halt nicht zum Ausfegen der Werkstatt oder zum Erstellen von Belegungsplänen im Krankenhaus taugen.

       

      Ich wäre vermutlich glücklicher, wenn ich den Schneid gehabt hätte, mich gegen die Erwartungen meiner Eltern zur Wehr zu setzen und nicht auf Bullshitjob zu studieren.

    • @GerdGrantig:

      Die Berufe sind möglicherweise Lebensnah, dass man sie an der Hochschule lernt, fragwürdig, dass sie an der Hochschule lebensnah wären, halte ich für, naja eine sehr utopitstische Idee. Kommen wir zum nächsten Begriff, "ehrenwert" BWLer/innen, Lehrer/innen, Ärzte und Ärztinnen, die ich während des Studiums kennen gelernt habe tragen schon nach den ersten zwei Semestern oft so ein Standesdünkel mit sich herum, dass mir regelrecht übel wurde. Was ist an der Arbeit im Hotel, der Gastronomie und anderen für das alltägliche Leben notwendigen, oft im Hintergrund und unter den Grenzen der Wahrnehmung der Standesdünkelakademikerinnen ablaufenden Arbeiten nicht "gut", das Problem ist ja, wie man auch an Ihrem Kommentar entnehmen kann, nicht das sie diese Arbeiten nicht wertschätzen (hoffe ich jedenfalls), sondern, dass sie nicht gut bezahlt werden, wobei die gute Bezahlung auch wieder so eine Sache ist, je nach dem was man im Leben für Notwendig hält kann man auch mit 600 frei verfügbaren Euronen, abzüglich Miete, im Monat gut auskommen, aber ich Schweife ab. Wenn die Arbeiten (notwendiger als der 5000. Designer für Magersüchtigmachende Werbeplakate) oder besser auch schon die Ausbildung besser oder sagen wir mal angemessen entlohnt würden, wäre ihre Kritik vermutlich gar nicht geschrieben und die Kritik der Eltern im Artikel auch nicht vorhanden.

      • @Albrecht Kühnert:

        Hallo Herr Kühnert, ja ich schätze die Arbeit der Menschen im Gastronomie- und Hotelgewerbe sehr, ich nehme deren Leistungen auf Dienstreisen häufig in Anspruch und werde von ihnen nur selten enttäuscht. Ich kritisiere mehr die Arbeitsbedingungen und die Entlohnungen in diesen Bereichen. Jemand der eine Hochschulzugangsberechtigung hat, sollte besser von anderen Möglichkeiten Gebrauch machen, wo man weniger ausgebeutet wird. Ich persönlich fand mein naturwissenschaftliches Studium richtig gut und es hat auch zu interessanten und gut bezahlten Beschäftigungen geführt.

  • Schöner Artikel und mit allen positiven Kommentaren d'accord, aber bitte nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und in einer Wertungsumkehr den "Orchideenstudiengang" als unsinnig, lächerlich und überflüssig darstellen. Beides ist sinnvoll und sollte von denjenigen, die dies gerne tun, getan werden können und anerkannt werden.

  • 7G
    738 (Profil gelöscht)

    Das Hotelgewerbe ist allerdings auch einer der wenigen Berufe in der man noch mit einer Basisausbildung richtig Karriere machen kann. In anderen Branchen werden ja schon Bachelorabsolventen schief angeschaut.

  • Zustimmung. Habe meine Einssiebzigbrünette auch in ihrem Entschluß bestärkt, erst mal "einen richtigen Beruf" zu erlernen. Und auch wenn es abgedroschen klingt, so stimmt schon, daß wenn die junge Person es möchte, sie ja "später immer noch studieren" kann. :-)

  • Wunderbarer Artikel! Genau so isses.

  • Gutes Thema. Inklusion ist auch hier bitter notwendig, damit die Gesellschaft gleichberechtigt funktioniert, auf Augenhöhe, ob mit oder ohne Studium.

  • Wieviele "Studien-Gänge" gibt es heutzutage? Welche davon werden nach dem Abschluss noch einen Sinn für das ganze lange Leben machen?

    Die Grundlage für lebenslanges reales Weiterlernen zu vermitteln wäre die einzige gegenüber den jungen Menschen vertretbare Lösung. Spezielles Wissen kann schon heute kurzfristig erworben werden. Neugier ist die beste Triebfeder dazu. Und Widerstand gegen die Dressur zum verbrauchenden Automaten. Hotelfachfrau ist dafür ebenso gut wie jeder andere Einstieg. Mag sein, sogar besser weil dabei Kenntnis und Verständnis des Menschen erworben wird.

     

    Gruss an ANAMOLIE, macht immer wieder Freude von Dir zu Gedachtes zu lesen.

  • Maxim Gorki auf die Frage, wo er denn studiert hätte: "Meine Universitäten waren die Straße." ; wenn auch hier die Hotelgänge.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @lions:

      Na eben: studieren ist eine Lebens(lange)haltung. Aber ohne sie verblödet man.