Kolumne Zeitschleife: Phil Collins möchte bitte gehen
Bevor hier alles den Bach runtergeht: die letzte blöde Geschichte vor dem Armageddon
"Steven Tyler stellt in meinem Büro (dont ask) sein neues, erstes Stand-up-Comedy-Programm vor. Also eigentlich ist es nicht ganz genau mein Büro, sondern irgendwie eine Mischung aus meinem Büro und dem Atomic Café. Als Steven dann einläuft, muss ich meinen Schreibtisch räumen, weil er den jetzt für seine Show braucht. Ich latsch so nach hinten, und in einer Ecke steht, gedrungen und mittellaunig dreinschauend, Phil Collins.
Josef Winkler, 35, lebt und arbeitet, was sein Nervenkostüm und Zeitbudget nicht unerheblich in Anspruch nimmt, in München und Palling. Hobbies: Zeichnen, Tiere, Musik, Nichtschwimmen.
Unsere Blicke treffen sich, weil er meinen gewissermaßen sucht, was mich überrascht, und weil ich eh einen soft spot für Phil Collins habe in letzter Zeit und er mich so anguckt, sage ich im Vorbeigehen schnell 'Hi, Phil' (denke Sekundenbruchteile später, ob das jetzt vielleicht zu plump kumpelig war und ich vielleicht 'Mr. Collins' hätte sagen sollen, aber egal), und er, fast gleichzeitig, sagt auch was. Und ich bin vorbei und frage mich, was um alles in der Welt da jetzt Phil Collins zu mir gesagt hat. Es war etwas Kurzes, Einsilbiges, klang nicht wie ein Gruß. Ich drehe mich rum und sehe hinter mir, wie Phil schon den Nächsten anquatscht, einen Hausdiener im Anzug, und mir wird klar, dass Phil Collins mich für einen Servicemann gehalten und dass er 'Coat' zu mir gesagt hat, weil er seinen Mantel haben und gehen will. Was jetzt a) etwas über die Qualität von Steven Tylers Comedy-Programm sagt und ich b) so abgefahren finde, dass ich es mir sofort aufschreiben muss. Phil Collins bat mich, ihm den Mantel zu bringen! Was für eine lustige Anekdote. Ich suche einen Block, aber irgendwie funktioniert das mit dem Aufschreiben nicht richtig, der Stift ist kaputt oder meine Schreibehand lahm.
Und dann wache ich auf und bin enttäuscht, dass meine tolle Geschichte nur ein Traum war, was sie als Anekdote ja doch einigermaßen entwertet. Trotzdem aufschreiben."
Als ich diesen Eintrag aus meinem fünften Moleskine-Notizbüchlein, erworben im Frühjahr 2004 im taz-Shop, eben wieder las, war ich aufs Neue enttäuscht, dass es leider nur ein Traum war. Ich war ins nostalgische Schmökern in der Vergangenheit geraten, weil sie vorhin im Fernsehen gesagt haben, dass jetzt bald Ruhe ist und wir bald eh nur noch eine Vergangenheit haben, weil der Schäuble gesagt hat, dass ein Atombombenanschlag ansteht und dass wir "uns die verbleibende Zeit nicht auch noch verderben" sollen mit, was weiß ich: zum Beispiel damit, uns Sonntagabende um die Ohren zu hauen mit dem Ausdenken immer noch neuer lustiger Kolumnen. Und ich fand dann auch die Traumstory, schon wegen ihrer geballten Starpower, fetzig genug, dass ich mir dachte: Die drück ich jetzt noch schnell dem kollektiven Gedächtnis der abendländischen Zivilisation aufs Auge, bevors den Bach runtergeht. Falls Sie sie zu lahm fanden: Das tut mir leid, aber Sie ahnen ja nicht, was für eine sensationelle Traumnacherzählung Ihnen und dem Abendland bereits vor langem verloren gegangen ist. Ich hatte den Traum 2003 beim Campen in Polen eigenhändig geträumt und im Halbschlafsack brühwarm in das Moleskine-Buch notiert, welches mir dann aber abhanden kam, und ich kann mich an nichts erinnern, außer ganz vage an Iggy Pop und Metallica in einem metaphorisch aufgeladenen Bierzeltszenario.
Das wärs gewesen
Zählen Sie übrigens auch zu den Leuten, die bei dem Namen "Moleskine" für einen kurzen Moment dachten, das hätte was mit Maulwurfshaut zu tun und das wiederum mit dem schwarzledrigen Schutzeinband der Büchlein, und warum so eine Schweinerei dann im taz-Shop verkauft wird, und die in der Folge, peinlich berührt über ihren Irrtum, stets darüber geschwiegen haben, auch in lustigen Kolumnen, wo man normalerweise nun wirklich jede Hose runterlässt, weil der Leser Selbstironie halt einfach am allergeilsten findet? Na? Jetzt können wirs uns doch eingestehen, wo eh bald alles vorbei ist. Was, niemand? Kommen Sie schon, ich hab sogar damit rausgerückt, dass ich Phil Collins leiden mag! Ich steh die uns noch verbleibende Zeit ja da wie ein Depp, merk ich grad.
Fragen zu Phil Collins? kolumne@taz.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!