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Kolumne WutbürgerFrau ohne Namen

Kolumne
von Isabel Lott

Eine Mutti hat außerhalb des Kinderzimmers nichts zu melden. Was sagt dieser Titel dann über unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel?

Bei Mutti und den Häppchen. Bild: dpa

A ls ich Anfang der Neunzigerjahre mit meinem Kleinkind in den Osten Berlins zog, wurde ich zur Frau ohne Namen. In der Kita war ich wie alle anderen Frauen nur noch die Mutti. Und Muttis stellen keine kritischen Fragen zum pädagogischen Konzept. Das ist nicht vorgesehen. Ich tat es dennoch. Eine Erzieherin zischte mir zu: „Vielleicht sollte die Mutti ihr Kind in eine Vitrine stellen und dort abstauben.“ Kamen wir zu spät, hieß es, dass die Mutti einfach mal früher aufstehen müsse.

Es gab natürlich auch Vatis. Weil die im Kita-Kosmos aber kaum auftauchten, konnten sie auch nicht so viel falsch machen. Eine Mutti, so musste ich erfahren, hat außerhalb des Kinderzimmers nichts zu melden. Ihre Aufgaben beschränken sich darauf, Schulbrote zu schmieren und Elternabende zu besuchen.

Gerade deshalb bin ich mehr als erstaunt, mit welcher Penetranz diese Bezeichnung für die Bundeskanzlerin verwendet wird. Wer damit angefangen hat, ist mir egal. Aber es muss vor allem für männliche Politiker und Journalisten ein großes Bedürfnis sein, Angela Merkel Mutti zu nennen.

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Ganz offensichtlich braucht auch noch der kleinste Schreiberling oder Hinterbänkler diesen Begriff, um sich davon zu erholen, dass eine Frau Kanzlerin ist. Damit auch wirklich allen klar wird, wer die Eier in der Hose hat, werden Person und Amt verniedlicht. Ist doch alles Kindergarten! Und überhaupt: Das kann doch nur ein peinliches Versehen sein, dass die Merkel was zu sagen hat.

Leider wurde diese beinharte Machtpolitikerin kürzlich zum dritten Mal Kanzlerin. Das hindert Journalisten aber nicht daran, weiterhin diese bescheuerte Zuschreibung zu verwenden. Dass es sich dabei um eine totale Fehlinterpretation ihrer tatsächlichen Rolle handelt, scheint unwichtig. Im Zweifelsfall ist das natürlich nur ironisch gemeint. Für die völlig Verzweifelten hier ein Vorschlag für die nächste Merkel-Überschrift: Wir sind Mutti.

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14 Kommentare

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  • A
    Anna

    Merkel nicht Mutti zu nennen, ist die eine Sache. Warum dazu wieder Ostklischees in dieser abfälligen Art und Weise nötig sind, ist für mich leider nicht nachvollziehbar.

  • S
    Susanna

    Es ist, wie wenn jemand in den Kommentaren von 'der Dame' spricht, wenn er/sie etwas abfälliges sagen will und der Artikel von einer Frau handelt: In 95% Prozent der Fälle weiß ich dann schon, der Kommentar ist schrott und habe recht damit. Das ist so ein Pseudo geschwurbeltes passivaggressives Vokabular, das jemand, der wirklich was zu sagen hat, nicht verwendet. Genauso wie 'Zickenkrieg', 'Stutenbissig' und eben auch 'Mutti'. Wobei 'Mutti' in meinen Kreisen schon wieder ein Kompliment ist. Aber nur, wenn sich Frauen selber so nennen.

  • TT
    Thea Tiger

    Auch die Taz hat ja diesen dümmlichen Titel mehrfach verwendet. Weil mich das immer öfter nervte, schrieb ich vor einiger Zeit verärgert in einem Kommentar sinngemäß : Wer bitte ? Die Kanzlerin heißt Merkel. Habt Ihr zuhause keine Mutti ?

    Ich möchte bitte nirgends mehr die Bezeichnung Mutti als abfällige Betitelung irgendeiner Frau lesen oder hören. Der Bericht aus dem Kindergarten spricht ja für sich.

    Danke für diesen Artikel.

  • E
    eliza

    Und die Autorin kann sich offenbar auch nicht davon erholen, dass sie eben auch eine Mutti war/ist, noch dazu, so liest sichs, eine ziemlich gute...

  • A
    abc

    Den Titel "Mutti" hat sie sich redlich verdient. Eier hin oder her.

    Eine Frau(!) hat übrigens gleich ein ganzes Wutbuch über Merkel geschrieben. Titel:Die Patin! Das ist sicher auch nicht der richtige Titel, trifft es aber schon genauer.

  • T
    T.V.

    Fehlt irgendwie der folgernde Schluß, daß der Bundestag halt ein Kinderzimmer ist. Für so Spaßeinlagen und Nichtaussagen die man sich dort leisten kann, werden Leute die nichtmal ein Zehntel der Bundestagler verdienen umgehend gefeuert.

     

    Mutti stellt nun sicher, daß sich wieder 4 Jahre nichts groß ändern wird, da ja der Mehrheit eingetrichtert wurde, daß es ihr gutgeht im von Kantenlosen regierten Land.

  • E
    Enam

    Wie schon Douglas Adams wußte sind das alles nur Papis (und Muttis):

     

    "He was briefly the President of the Galaxy (a role that involves no power whatsoever, and merely requires the incumbent to attract attention so no one wonders who's really in charge, a role for which Zaphod was perfectly suited)."

     

    http://en.wikipedia.org/wiki/Zaphod_Beeblebrox

  • "Ganz offensichtlich braucht auch noch der kleinste Schreiberling oder Hinterbänkler diesen Begriff, um sich davon zu erholen, dass eine Frau Kanzlerin ist. Damit auch wirklich allen klar wird, wer die Eier in der Hose hat, werden Person und Amt verniedlicht."

    Die Mutti-Verniedlichung findet also statt, damit Männer ihre Hoden ordentlich spüren? Wieso beschränken sie Ihre Analyse der Wirkung der Mutterei auf diese Ebene? Hat das denn nur einen patriarchalen Effekt? Der Begriff Mutti verharmlost in erster Linie, er kaschiert eine machthungrige, rücksichtslose Frau, verleiht ihr Attribute des Fürsorglichen, der Kümmerin, macht sie annehmbar, erträglich. In dieser Art wirkt Mutti Merkel nicht nur auf Männer, sondern auch auf Frauen. Wir werden dadurch zu Kindern, alle, lass Mutti mal machen. Funktion und Wirkung dieser Muttilaberei beschränken sich nicht auf ein Genderproblem, aber das scheint mir immer wieder die primäre Leitdifferenz dieser Zeitung zu sein. Warum beschränken Sie durch ideologische Fixierungen ihre Erkenntnismöglichkeiten? Die These der Verniedlichung hat ja Substanz, aber was daraus gemacht wird, eine Männer-Eier Angelegenheit...hm

    Undskyldig.

  • AG
    ALI G

    Ja, was ist denn mit Euch bei der taz eigentlich los?

     

    Eine ganze Kolumne "Wutbürger"?

     

    Der Begriff entstand als Verunglimpfung für das Vorhaben von BÜRGERN, sich demokratisch an Entscheidungen - hier war es Stuttgart 21 - beteiligen zu können.

     

    Schön, dass "Wut" neuerdings als psychische Erkrankung geführt wird: So wird als dem Willen vieler Bürger eine krankhafte Spinnerei gemacht und Demokratie als solche als überholt erklärt.

     

    Toll! Liebe taz, dass ihr aus dem Vokabular der Antidemokraten gleich eine ganze Kolumne macht.

    Eine Antwort zu "Mutti" erspare ich Ihnen - ich wünschte, Sie hätten es ebenso gehalten!

  • S
    Saeger

    Frau Merkel mag beinhart sein aber sie regiert uns nicht. Sie ist nichts weiter als eine populistische Sockenpuppe mit wechselnden Händen im Allerwertesten, durch und durch korrumpierbar und damit jederzeit umstandslos zu beseitigen. Es gibt wesentlich mächtigere Frauen in Deutschland und anderswo sowieso.

    • FS
      Faulheit siegt, gell Frau A. Merkel?!
      @Saeger:

      Anders formuliert:

      Frau A. Merkel hat offensichtlich immer schon gewusst, wo die Wurscht hängt, es die fettesten Braten gibt und im entscheidenden Moment sich Wurscht und Braten geangelt.

      Dabei ist die Dame sehr pragmatisch und sparsam im Aufwande vorgegangen, hat gewartet, bis ihr Wurscht und Braten vorm Mondgesicht baumelten und hat gelangweilt nach den nährenden Dinge des Lebens gegriffen.

      Die Arbeit haben immer die anderen gemacht.

      Und so geht Frau Angela Merkel offensichtlich auch beim Nicht-Regieren vor; sie macht sich keine Platte um andere Menschen, nur um sich.

      Die anderen lässt die Merkel arbeiten; sie sitzt ihren Hintern breit.

    • @Saeger:

      Genau so ist das.

  • K
    Krabat

    Stiefmutter Merkel, Angela weiß, was sie tut; sie ist es, die die Deutschen am Nasenring umherführt. Merkel besteht nur aus Egoismus und aus Kulturlosigkeit.

    Es kann nur helfen, sich dem Konsum zu verweigern und der Belehrung von Merkel und ConsortInnen ebenso zu verweigern.

    Einfach die Egoistentruppe Politiker und Bonzen und Konzerne und Bankster ignorieren. DIE Genannten können ohne Zuspruch vom Fußvolk nciht leben; DIE sind auf diesen Zusprüch (in ihrer Erbärmlichkeit) dringend angewiesen - wer nicht diese Kumpanei mitmacht, ist auf solches Speichel geleckt bekommen nicht angewiesen.

    Ach ja, und die HofschranzInnen müssen auch in den Orkus der Menschheitsgeschichte verbannt werden.

    Merkel benimmt sich wie ein ungehobeltes Kind: Wenn wer mich nicht liebt, schmolle ich und bestrafe denjenigen / diejenige, der / die mich nicht liebt und mir nicht huldigt.

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    "Wir sind Mutti"

     

    - Oh was für ein erbärmlich abgeschmackter Vorschlag! Und wer ist unter den Zynikern und Schwachköpfen der EBENFALLS konfusionierenden Überproduktion von systemrationalem KOMMUNIKATIONSMÜLL verzweifelt?