Kolumne Wortmeldung: Das Phantom Akademisierungswahn
Wer die duale Ausbildung stärken will, muss sie attraktiver machen, anstatt das Studieren zu attackieren. Eine Antwort auf Julian Nida-Rümelin.
D ie Debatte über einen angeblichen Akademisierungswahn wird schärfer. Eine Allianz aus konservativen Bildungsbürgern und Wirtschaftsvertretern warnt vor dem „Universitätsstudium für alle“ und einem Exitus der dualen Berufsausbildung – vorneweg Prof. Nida-Rümelin. Die Kontroverse speist sich aus Emotionen, aber nicht aus Fakten. Sachlichkeit tut not!
Brauchen wir mehr oder weniger AkademikerInnen? Künftige Qualifikationsbedarfe lassen sich nicht präzise vorhersagen. Einseitig auf Studium oder Ausbildung zu setzen ist daher töricht. Als Hochtechnologieland und Wissensökonomie brauchen wir weiter Hochqualifizierte, also mehr Meister und mehr Master. Qualifizierte Berufs- und Hochschulabschlüsse sind die Eintrittskarte zur Arbeitswelt. Damit sind die zentralen Fragen: Was will der oder die Einzelne? Wie entfalten alle ihr Potenzial? Wie vermeiden wir Bildungsabbrüche?
Die Hochschulen haben ein Jahrzehnt der Studierenden-Rekorde erlebt. Ein Studium ist attraktiv: Akademiker erhalten oft höhere Einkommen, sind seltener arbeitslos. Auch AbsolventInnen beruflicher Bildung haben gute Chancen: Ihr großes Plus ist die betriebliche Praxis. Sie sind Stütze des Mittelstands, begehrte Fachkräfte und wirtschaftlicher Erfolgsfaktor. Bedroht der Uni-Run das duale System? Nein! Denn beides wird stark nachgefragt: Studien- und Ausbildungsplätze. Das Interesse am dualen System ist ungebrochen, zeigt der Berufsbildungsbericht. Seit Jahren will jeder fünfte Studienberechtigte eine Berufsausbildung machen, bei nichtakademischen Eltern gar jeder vierte.
Was ist also das Problem? Trotz guter Konjunktur sank die Zahl abgeschlossener Ausbildungsverträge mit rund 522.000 auf ein historisches Tief. Nur knapp 21 Prozent aller Unternehmen bilden überhaupt noch aus. Ein starkes Stück also, wenn ausgerechnet der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages eine „Überakademisierung“ beklagt und Studienplatzabbau fordert. Die Krise des dualen Systems ist hausgemacht und nicht auf eine gestiegene Studierneigung zurückzuführen. Es wird schlicht zu wenig ausgebildet. Nicht der Trend zu akademischen Berufen ist ein Problem, sondern die Einkommensschere zwischen Akademikern und Facharbeitern. Hier müsste der DIHK gegensteuern!
Durchlässigkeit statt Bildungsblokaden
Am Rückgang der Ausbildungsverträge sind nicht die Hochschulen schuld. Es sind die Betriebe, die das Ausbildungsangebot knapp halten. Dabei räumen Betriebe Hauptschülern kaum Chancen ein. Über 250.000 junge Menschen hätten im Jahr 2014 gern eine Ausbildung begonnen, landeten aber nach der Schule im Übergangssektor. Es braucht endlich den Paradigmenwechsel vom Warteschleifen-Parallelsystem hin zu betrieblicher Ausbildung. Industrie- und Handelsberufe stehen auf Platz zwei der begehrten Ausbildungsberufe von Studienberechtigten. Weil aber Ausbildungsplätze fehlen, kommt es zu einer verschärften Konkurrenz zwischen den Studienberechtigten in besonders begehrten Berufen – so der aktuelle Berufsbildungsbericht. Wer als Abiturient das Nachsehen hatte, entschied sich notgedrungen für ein Studium.
Anstatt berufliche und akademische Bildung gegeneinander auszuspielen, müssen wir deren Gleichwertigkeit erreichen. Beide Qualifizierungssysteme profitieren davon, wenn es zwischen ihnen reibungslose Übergänge gibt. Durchlässigkeit ist das Zauberwort! Jedem Jugendlichen muss ein Pfad aufgezeigt werden, der zu einem guten Berufsabschluss führt. Jeder junge Mensch soll sich frei zwischen den Systemen entscheiden können. Diese Wahlfreiheit ist denen ein Dorn im Auge, die vom Akademisierungswahn fabulieren. Nida-Rümelins Warnung vor einem „Überhang an Akademikern“ mündet in der elitär wirkenden Feststellung, dies führe „zu einem wachsenden Teil unterwertiger Beschäftigung“. Da kommt ein Verständnis von Gleichwertigkeit zum Vorschein, das Hochschulen abschotten will. Denn: Weniger Akademiker heißt weniger Studienanfänger und Abbau von Studienplätzen.
Was wären die Folgen? Höhere Hürden vor der Hochschultür würde die skandalöse soziale Schieflage beim Hochschulzugang verschärfen. Ohne höhere Ausbildungsbereitschaft der Betriebe bliebe das duale System in der Krise. Beides wäre ungerecht! Statt Bildungsblockaden zu errichten, müssen wir Wahlfreiheit sichern. Damit für alle genügend gute Ausbildungs- und Studienplätze bereitstehen und Bildungschancen nicht vererbt werden. Wer die Attraktivität dualer Ausbildung stärken will, muss eine Ausbildungsgarantie verwirklichen. Und Phantomdebatten beenden, die das Studieren attackieren.
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