Kolumne Wortklauberei: Guten Rutsch oder ein gutes Neues!
Für ein sprachlich, äh, ansprechenderes Jahr 2011 wünsche ich mir: dass endlich keiner mehr "Wettergott" sagt. Ich kann ihn nicht mehr hören, den Wettergott.
J a, die Zeit vergeht, schon wieder ein Jahr vorbei, und wenn ich noch einmal einen Werbespot sehen muss, in dem ein erwachsener Mann ein graues Haar auf seinem Kopf findet und darüber einen Schreianfall oder Ähnliches vor seinem Badezimmerspiegel erleidet, dann erleide ich auch was. Als obs auf die Grauheit von Haaren ankäme; kennen Sie jemandem im echten Leben, der sich über graue Haare erhitzen kann? Solchen Kinderkack gibts doch hoffentlich nur in Werbespots.
Aber egal. Man muss sich das vorstellen: 2010! Vorbei! "Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen"! Ganz schlechtes Sequel zu "2001", aber trotzdem in gewisser Weise mit Bedeutung aufgeladen. Und was haben Sie mitgenommen aus 2010? Also, ich für meinen Teil ein wohlgeformtes Baby, was ich jetzt irgendwie mit der Geburt einer neuen, zweiten Sonne in dem Film "2010" analogisieren könnte, aber das würde ja kitschtechnisch kein Schwein aushalten.
Stattdessen habe ich hier in der Wortklauberei-Winterklause einen ganz persönlichen kleinen Wunschzettel zu Neujahr aufgesetzt. Für ein sprachlich, äh, ansprechenderes Jahr 2011 wünsche ich mir: dass endlich keiner mehr "Wettergott" sagt, "der Wettergott war gnädig gestimmt" etc. Ich kann ihn nicht mehr hören, den Wettergott. Und dass keiner mehr sagt oder schreibt, "die Hoffnung stirbt zuletzt", weil das die unendlich inflationär abgedroschenste und in ihrem high drama zudem meist vollkommen unproportional deplatzierte Mistfloskel ist ("Schaffen wir diese U-Bahn noch? Die Hoffnung stirbt zuletzt!").
Josef Winkler lebt und arbeitet, was sein Nervenkostüm und Zeitbudget nicht unerheblich in Anspruch nimmt, in München und Palling. Hobbies: Zeichnen, Tiere, Musik, Nichtschwimmen.
Und dass keiner mehr die Formulierung "hört auf den Namen" gebraucht, außer es geht um einen Hund oder aber ein Pferd. Andere Tiere hören kaum auf Namen, und bei Menschen oder gar Sachen ("Mein Onkel hört auf den Namen Alfred", "Die Band hört auf den Namen Blur", "Dieser Arbeitsvorgang hört auf den Namen Muffenverpressung") ist diese Floskel dermaßen multipel daneben, dass ich jedes Mal einen halben Haschmich kriege.
Und dass die Sprachfee zu den Zeitungs- und Radioredakteuren kommt und ihnen die Aufzählungen mit "oder" wieder unterm Kopfkissen herausklaubt, eine vollidiotische Sprachmode, die in den letzten Jahren eingerissen ist; wenn die bei der SZ zum Beispiel so weitermachen, dann heißen die Beatles bei denen bald "John, Paul, George oder Ringo". "Hey, toller Song, von wem ist der?" - "Emerson, Lake oder Palmer, ich weiß aber nicht mehr genau."
Auch wünsche ich mir - ach, nein, das FORDERE ich jetzt einfach -, die Fußballreporter möchten aufhören, bei Halbzeiten von Fußballspielen von "Durchgängen" zu sprechen. Das wäre mir sehr wichtig, weil mir jedes Mal die Hirnrinde pelzig wird, wenn ich das höre. Ein Durchgang ist nach meinem Verständnis das Abarbeiten einer vorgegebenen Abfolge von Vorgängen, eins nach dem anderen, gemäß einer Liste. Eine Halbzeit eines Fußballspiels ist eine eigene Realitätsblase, in deren 45 Minuten, wie die Fußballromantiker ja immer herbeten, "alles möglich ist".
Ebenso könnte man sagen: Alles Gute im nächsten Durchgang 2011! Wäre aber ein Schmarrn, ich wünsche Ihnen lieber ein gutes neues Jahr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen