Kolumne „Wirtschaftsweisen“: Autonomer Widerstandsforscher
Ein richtiger Revolutionär stirbt nicht an Krebs: Hans-Dieter Heilmann ist tot. Ein Nachruf auf das Ehrenmitglied der Donaldisten.
Am 15. Mai starb Hans-Dieter Heilmann an Krebs, der 1943 geborene Stuttgarter studierte an der FU Politik und Geschichte und arbeitete bis zuletzt als autonomer Widerstandsforscher in einer großen Nichtraucherwohnung in Charlottenburg, die mit Büchern und Dokumenten vollgestopft war. Er meinte einmal (inspiriert vom Psychoanalytiker Wilhelm Reich?): Ein richtiger Revolutionär stirbt nicht an Krebs. Ich erwiderte: Und wenn doch, dann war er kein richtiger? Heilmann dachte aber wohl an einen Ausruf von Eugen Leviné „Wir Kommunisten sind alle Tote auf Urlaub“ (bevor er wegen Beteiligung an der Münchner Räterepublik erschossen wurde).
1961 trat Heilmann SDS bei – und blieb bis zuletzt dem Antiautoritarismus verbunden. 1991 meinte er: „Wir waren am Anfang zu zwölft und jetzt sind wir es wieder“. Er veröffentlichte zunächst in der „Sozialistischen Politik“, in der „883“ und in den „Schwarzen Protokollen“. Später gelegentlichen in Publikationen der FU-Bibliothek, von ostdeutschen KZ-Gedenkstätten und vom Hamburger Reemtsma-Institut.
Als die Studentenbewegung Ende der Sechzigerjahre autoritär wurde und Parteien gründete, beteiligte er sich an einem Band mit Kritiken u.a. an führenden SDS-Genossen wie Bernd Rabehl: „Hiebe unter die Haut“, dessen Motiv lautete „Warum denn gleich sachlich werden, wenn es auch persönlich geht“.
Es folgte eine Mitarbeit für die Zeitschrift „Die soziale Revolution ist keine Parteisache“, und ab 1979 gelegentlich für der taz. Seine Archivrecherchen sind im Gedächtnis geblieben, weil sie jedesmal einen Mythos ankratzten: Kurt Tucholsky, der einst im Schlesienkonflikt antipolnische, nationalistische Töne spuckte; Hilmar Pabel – einer der laut Wikipedia „wichtigsten deutschen Vertreter einer humanistisch-aufklärerischen Pressefotografie“, den Heilmann als üblen „Ghetto-Fotografen“ porträtierte; dann über den Zeitpunkt der Ermordung von Ernst Thälmann im KZ Buchenwald (der 1988 im Prozeß gegen den ehemaligen KZ–Wächter Wolfgang Otto eine wichtige Rolle spielte); über den Prozeß gegen Erich Mielke, den man 1992 mit Aussagen von zwei SA-Leuten verurteilte („Unvermutet tauchten die Ermittlungsakten aus dem Jahre 1934 auf,“ schrieb die Frankfurter Rundschau, sie lagen natürlich für den Fall der Wiedervereinigung bereit).
taz-Honorar ging an RAF-Genossen
Erwähnt sei auch ein taz-Artikel von Heilmann, in dem er den in der Alternativszene beliebten „Papalagi“ von Erich Scheurmann mit dem fast unbekannten „Lukanga Mukara“ von Hans Paasche verglich: Bei beiden handelt es sich um sogenannte Wilde, die nach Deutschland kommen und sich hier gesellschaftskritisch äußern. Die beiden Autoren haben sich ihre Helden vor Ort ausgedacht: Der Maler und Schriftsteller Scheurmann wurde nach dem Ersten Weltkrieg ein strammer Nazi und der ehemalige Marine- und Kolonialoffizier Paasche ein Linker, der dann von den Rechten ermordet wurde.
Heilmann nahm von der taz kein Honorar, sondern ließ es an den inhaftierten RAF-Genossen Klaus Jünschke überweisen. Ich weiß nicht, wovon er lebte. 1991 interviewte ich ihn und seinen Freund Gernot Kunze für einen Band über die Wendewirren – mit dem Titel „Babelsberg“.
Heilmann war Ehrenmitglied und Kunze ehemaliger Präsident der Donaldisten, deren zentrale Losung lautete: „Wahrer Donaldismus ist Scheitern, es wieder versuchen, nochmal versuchen, wieder scheitern, scheitern, scheitern und nochmal scheitern, doch niemals unterliegen oder gar aufgeben.“
Auch als Rinderpfleger gearbeitet
Heilmann und Kunze hielten das Verschwinden der DDR für das gescheiterte Projekt einer Partei, und waren, wiewohl Westberliner, nicht ganz ostunkundig. Auf ihrem Berliner Kongreß 1984 hatten die Donaldisten mithilfe einer Windmaschine und Tausenden von gasgefüllten Luftballons „Aufrufe zur Gründung Donaldistischer Zirkel und Zellen“ auf das Territorium der DDR losgelassen.
Heilmann hatte zudem mit mir im Dezember 1989 in der LPG-Tierproduktion „Florian Geyer“ als Rinderpfleger gearbeitet und wenig später als Wehrmachtskundiger in der Kneipe „Torpedokäfer“ der Prenzlauer Berg Anarchos mit mir einen Diavortrag über die Deutschen an der Ukrainischen Front gehalten. Die Farbdias stammten vom tazler Christian Uhle, dessen Vater sie 1943 in einer rückwärtigen Pioniereinheit geknipst hatte. Christian verkaufte sie anschließend an den Spiegel.
Die Kneipe gibt es nicht mehr, ihr Name „Torpedokäfer“ ging auf den Titel der Autobiographie des Dadaisten, Rätekommunisten und Schiffsentführers Franz Jung zurück, der sowohl für die West-Antiautoritären im SDS und danach als auch für die Anarchisten in Prenzlauer Berg eine Art Vorbild war. Auch er im Übrigen aus Sicht von systemangepaßten Arschlöchern ein Gescheiterter.
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