Kolumne Wir retten die Welt: Politik für die Konzerne? Schön wär’s!
Deutschland zuerst? Die AfD ist stolzer Teil der Beschränkten, die beim Wort „Volkswirtschaft“ an eine nationalistische Kneipe denken.
Ich hätte das nie gedacht, aber ich vermisse Hans-Olaf Henkel. Der Ex-Vorzeige-Ökonom der „Alternative für Deutschland“ und Ex-Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) hatte zwar oft ein knallneoliberales Verständnis von „der Wirtschaft“, aber eben ein Verständnis. Der Mann sitzt jetzt für die Alfa, die Splittergruppe von Bernd Lucke, im Europaparlament und büßt jeden Tag schwer für alle seine Sünden: Er muss sich anhören, was seine alten Kumpel von der AfD so von sich geben.
Vorbei die Zeiten, als man den Rechten vorwerfen konnte, sie betrieben Politik im Sinne der Konzerne. „Schön wär’s“, denke ich jetzt, wenn ich nach Spuren von ökonomischem Restverstand in der AfD und der Internationale der Populisten suche. Und da – aua! – gibt mir sogar Ulrich Grillo, jetziger BDI-Chef, recht: Es sei „überhaupt nicht auszuschließen“, dass die Liebe zu den Rechtspopulisten Investoren etwa in Sachsen-Anhalt abschrecke. Andere Bosse sagen Ähnliches. Bosch will für eine offene Gesellschaft kämpfen. Die hat nämlich was mit offenen Märkten zu tun.
Was täte ich denn, wenn ich Geld in eine Firma stecken wollte? Sachsen-Anhalt, wo jeder Vierte AfD wählt, würde auch für mich zu Sachsen-Durchfahr. Die Partei, die früher wenigstens noch Wirtschaftskompetenz simulierte, ist endgültig zum ökonomischen Geisterfahrer geworden: „Raus aus dem Euro!“, auch wenn die deutschen Exportmärkte an ihm hängen. „Grenzen zu!“, auch wenn wir unseren Wohlstand zum großen Teil importieren. „Flüchtlinge raus!“, auch wenn Firmen unter den Geflüchteten händeringend nach Facharbeitern suchen. „Wir können uns das nicht leisten“, auch wenn die Milliarden für Flüchtlinge längst ein Konjunkturprogramm sind. „Deutsche zuerst!“, auch wenn viele AfD-Wähler in absehbarer Zeit auf die Pflege durch iranische Krankenschwestern angewiesen sein werden.
Die AfD ist stolzer Teil der Internationale der Beschränkten, die beim Wort „Volkswirtschaft“ an eine nationalistische Kneipe denkt. Auch der Front National wettert gegen Brüssel, obwohl von dort sehr viel Geld an die französischen Bauern fließt; in Großbritannien verzweifeln Unternehmer an der Rechten, die ihren Eigenbedarf an Fish and Chips außerhalb der EU decken will; die PiS-Nationalisten in Warschau halten mit Steuergeld die völlig marode Kohleindustrie am Leben; und Donald Trump will die USA „wie einen Konzern führen“ und die Wirtschaft erst mal in einem Handelskrieg mit China ruinieren.
Flüchtlingen, Kranken und Schwachen muss man helfen, egal woher sie kommen. Das kann man aus Mitmenschlichkeit tun. Oder aus Nächstenliebe, wenn man wie AfD und Pegida schon dauernd vom „Untergang des christlichen Abendlandes“ wimmert. Wenn den selbst ernannten „Alternativen“ das eine wie das andere egal ist, sollten sie zumindest unsere wirklichen nationalen Interessen wie sozialen Frieden berücksichtigen. Und das Land, das sie angeblich so lieben, nicht wirtschaftlich völlig auf den Schäferhund kommen lassen.
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