Kolumne Wechseljahr 2008: Was rechts ist und was rechtens
Gestern wurde in den USA gewählt - und in drei Bundesstaaten über die gleichgeschlechtliche Ehe abgestimmt.
"Dies ist wichtiger als die Präsidentschaftswahl", sagte Tony Perkins, Leiter der erzkonservativen Lobbygruppe Family Research Council. Er sprach über eine Kampagne, die derzeit in Kalifornien läuft und am Dienstag durch die Abstimmung zu ihrem Höhepunkt kam. Die kürzlich gerichtlich gefällte Entscheidung, die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare in dem Bundesstaat zu legalisieren, sollte durch eine Volksabstimmung (Proposition 8) rückgängig gemacht werden. Ähnliche Referenda wurden am 4. November auch in Arizona und Florida durchgeführt.
Soll die Institution der Ehe nur der Kombination "ein Mann plus eine Frau" vorbehalten bleiben? Neben den konservativen Lobbygruppen haben allen voran die Mormonen, die hier nicht zuletzt ihre eigenen Polygamie-Geschichten aus der Vergangenheit mit zu verarbeiten haben, Geld in diese Kampagne gegen die Homoehe gesteckt. Aber auch die Gegner von Proposition 8, die in dieser Kampagne zur Beschränkung der Ehe auf Heterosexuelle zu Recht einen gemeinen Versuch sehen, Mitbürger von elementaren Bürgerrechten auszuschließen, ließen Geld fließen. Wohlgemerkt: Es ging hier um Fragen der Gesundheitsversicherung, des Erbrechts, des Sorgerechts für Kinder und des Rechts der Krankenhausbesuche beim kranken Partner. Inzwischen ist dies der allerteuerste Volksabstimmungskampf des Jahres.
Zunächst schienen die Chancen der Proposition 8 gering. Arnold Schwarzenegger, der republikanische Gouverneur, meinte gelassen, sie wäre eine "Zeitverschwendung" und Kalifornier wären zu reif, um sich zu solcher Kleinlichkeit herabzulassen, anderen Bürgern das Recht auf legal sanktionierte Partnerschaften vorzuenthalten. "Die Kalifornier sind bei dem Thema weiter", sagte er. Aber wegen der zunehmenden Einmischung rechtsreligiöser Konservativer in den letzten Woche ist der Ausgang zunehmend ungewiss - noch immer.
Zudem kam am Dienstag in Kalifornien auch ein anderes Thema zur Volksabstimmung: Proposition 4. Sie soll Ärzte zwingen, innerhalb von 48 Stunden wenigstens einen Elternteil einer minderjährigen Frau zu benachrichtigen, wenn diese bei ihnen einen Schwangerschaftsabbruch ersucht. Gegner befürchten, Mädchen würden deswegen öfter zu illegalen und gesundheitsschädlichen Methoden des Abbruchs greifen - und sehen hierin zugleich eine Kampagne, das (gerade noch legale) Recht auf Abbruch weiter schleichend einzuschränken und Ärzte einzuschüchtern. Zweimal schon hat ein solcher Versuch keine Unterstützung bei den Kaliforniern gefunden.
Aber diesmal sieht es anders aus. Die Diskussionslage in USA zu Reproduktionsrechten sowie zu den Sexualrechten Jugendlicher hat sich in den letzten acht Jahren dermaßen nach rechts verschoben, dass es sehr schwierig geworden ist, so etwas wie das Recht auf ärztliche Schweigepflicht auch für Jugendliche zu verteidigen.
So ist Perkins Aussage vieldeutig. In den gegenwärtigen sexualpolitischen Kampagnen geht es tatsächlich um Grundlegendes, und das in dreierlei Hinsicht.
Zum einen: Republikaner haben in den letzten zehn Tagen begriffen: Sie werden die Präsidentschaft verlieren. Obama liegt in den Umfragen so weit vorn, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass McCain noch gewinnen könnte. Trotz des verbreiteten Misstrauens wegen schlecht funktionierender Wahlmaschinen und möglichem Wahlschwindel, trotz der Furcht, dass auch diesmal wieder afroamerikanische Wähler von den Wahlurnen in manchen Gegenden ausgeschlossen werden könnten, trotz der unabschüttelbaren Sorge, dass al-Qaida sich noch meldet oder dass Neonazis Obama Leid zufügen könnten - alles Befürchtungen, die trotz den immer besser werdenden Umfragenzahlen weiterhin weit verbreitet sind und auch ihre ernsthaften Gründe haben.
Für McCain und Palin galt es aber nun vor allem, die Niederlage nicht zu groß, nicht zu beschämend werden zu lassen, und noch bitte schön so viel Zweifel wie möglich zu säen an Obamas Charakter, Führungsstil und Wirtschaftsrettungsplänen. Täglich pochten McCain und Palin beispielsweise auf Obamas angeblich "sozialistischen" Plan, die Steuern mancher Geschäftsleute zu erhöhen und auch das schwerverdiente Geld des Durchschnittsmannes "umzuverteilen" - statt, so ihr eigener Plan, die Wirtschaft "wachsen" zu lassen. Dazu witzelte Obama souverän, bald würden sie ihn des Kommunismus bezichtigen, weil er im Kindergarten das Spielzeug und die Butterbrote mit anderen Kindern geteilt hatte.
Diese letzten angestrengten Versuche, Obamas Aufstieg aufzuhalten, scheitern zunehmend. Für unerschütterliche rechtsreligiöse Republikaner wie Perkins gilt es also nun zu retten, was noch zu retten ist. Wie Perkins sagt: "Wir haben schon früher schlechte Präsidenten gewählt und wir haben es als Nation überstanden. Aber wenn wir die Institution Ehe verlieren, dann werden wir es nicht überleben."
Zweitens spielt sich, gerade unter der Oberfläche, noch ein anderes Drama ab: die Beziehung der republikanischen Partei zu den Ideologen der religiösen Rechten. Unter Bushs Regie hatte die große - und besonders aggressive und laute - Minderheit der konservativen Evangelikalen, sie repräsentiert ungefähr etwa ein Fünftel oder gar ein Viertel aller Amerikaner, außerordentlich viel Einfluss. Wenn McCain und Palin noch gewinnen würden, dann hätten sie viel Raum für ihr Spiel: nicht nur die Wahl der nächsten Richter zum Supreme Court und damit das endgültige Ende der umstrittenen Entscheidung Roe v. Wade, sondern auch die Gesundheits- und Bildungspolitik in USA sowie signifikante Teile der Außenpolitik. Palin, darf man sich erinnern, ist unter anderem dafür, die Schöpfungsgeschichte im Naturkundeunterricht zu lehren, und geht auch zu Kirchen, in denen die Pastoren regelmäßig zu verstehen geben, dass sie die sich häufenden Ölkrisen, den erneuten Aufschwung Russlands sowie die wachsende Gewalt im Nahen Osten alle als Zeichen des bevorstehenden Gottesgerichts und der Endzeit deuten.
Der wunde Punkt aber ist dieser: Obwohl die evangelikalen Ideologen genügend Macht hatten, um McCain gegen seinen eigenen Instinkt zu zwingen, Palin als Vizekandidatin anzunehmen, haben sie mit der Wahl Palins letztendlich McCains Kampagne doch geschadet. McCain selbst hätte viel lieber entweder Tom Ridge, den ehemaligen Gouverneur von Pennsylvania, oder den eigenständigen Senator Joe Lieberman aus Connecticut genommen - aber beide waren Abtreibungsrechtsbefürworter. Das hätte zwar für einen viel interessanteren Wahlkampf und differenziertere Diskussion zu Sexualrechten in USA gesorgt, war aber für Rechtsreligiöse absolut unannehmbar und so unmöglich. Im September noch, im Aufregungstaumel um diese supersexy Kandidatin, sah es tatsächlich so aus, als ob Palin McCain den erwünschten Sieg liefern könnte. Die führenden Figuren der Rechtsreligiösen wiegten sich schon in Vorfreude auf die neue Macht, die sie sich durch diesen Hilfsdienst von McCain als Präsident würden einfordern können. James Dobson von Focus on the Family ergoss sich, Sarah Palin sei "Gottes Antwort". Dazu ist es nun nicht gekommen. Die Rechtsreligiösen können sich aus dieser Präsidentschaftswahl nur noch irritiert zurückziehen.
Hässliche Lügen
Drittens aber: Die religiöse Rechte ist noch lange nicht tot. Die Ära ihres direkten Zugangs zur Macht geht zu Ende. Aber der von ihnen angerichtete Schaden ist jetzt schon schwer wieder gutzumachen. Nicht nur Abtreibung, sondern vermehrt auch der Zugang zu Kontrazeptiva für unverheiratete Frauen ist in vielen Bundesstaaten unter Beschuss; die Überwachung der Sexualität Jugendlicher jeglicher Orientierung wurde verstärkt, und das, was als Sexualaufklärung gilt, ist voller gefährlicher und hässlicher Lügen; die HIV-Prävention ist katastrophal erodiert. Und an der Basis wird diese Rechte weiterhin stark wirken: durch Druck auf Schulbehörden, durch weitere Volksabstimmungen, durch den Erlass bundesstaatlicher Gesetze. Und vermehrt auch durch die Gerichte auf bundesstaatlicher und regionaler Ebene. Denn ein volles Drittel aller gegenwärtigen Richter an den Berufungsgerichten, die viele grundlegende Entscheidungen treffen in Fällen, die dann nie an den Supreme Court weitergeleitet, sondern für ihre Landesregion geltendes Recht werden, sind von Bush eingesetzt worden. Diese Richter tendieren stark zum Konservativismus, sie beherrschen zurzeit zehn der dreizehn regionalen Gerichte - und sie sind auf Lebzeit verbeamtet.
Unterdessen: In dreißig Bundesstaaten durften Wähler "frühe" Wahlzettel einreichen, damit sie am Dienstag nicht Schlange zu stehen brauchten. Sie meldeten sich in Scharen. Wenn diese Stimmen ein Anzeichen sind, dann wird das Verdikt lauten: Obama gewinnt.
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