Kolumne Trends und Demut: Das S-Wort
Was in den 1980er Jahren noch als progressiv galt, ist heute verpönt: In London wehren sich Singles nun gegen Diskriminierung.
K ürzlich bezeichnete ich eine Bekannte im Nebensatz als „Single“. Ihre sonst sanften Züge verhärteten sich zu einer bösen Mimik. „Ich will dieses Wort nicht hören und will mich aufgrund meiner Beziehungslage auch nicht kategorisieren lassen!“ Es fühlte sich an, als hätte ich gerade einen Gehörlosen „taubstumm“ genannt. Ich kam mir stumpf und unsensibel vor. War „Single“ kein beschreibender Status quo mehr, sondern ein Makel?
Noch in den achtziger Jahren standen „partnerlose“ Menschen als Zeichen für Progressivität und erfolgreiche Autonomie! In einem Text in der taz war gerade erst zu lesen: „Singles sind heute keine Leitfiguren mehr. […] Noch in den 1980er Jahren galten Singles als Speerspitze des Fortschritts.“
Freunde ohne Partner in London empfinden den Status „Single“ sogar als regelrechtes Ausgrenzungsmerkmal, umgeben von mitleidig grinsenden Paaren, die im Laufe der vergangenen Zeit geheiratet haben und seitdem den Nachwuchs produzieren.
Auf Channel 4 widmete sich vergangene Woche eine ganzer Schwerpunkt der Frage „Warum bin ich immer noch Single?“. Die Reporter wühlten im Privatleben ihrer freiwilligen Teilnehmer herum, als durchsuchten sie das Profil eines Massenmörders: Irgendwo hier muss doch die schräge Ursache versteckt sein, weshalb diese Frau/dieser Mann immer noch Single ist!
Britische Medien sorgen für Stigmatisierung
In Großbritannien geht man das „Single“-Dasein an wie eine Allergie, die man dann behandeln kann mit: Onlinedatingseiten, und zwar zu den diversesten Schwerpunkten (nur für Banker, nur für Kreative, nur für linksintellektuelle Guardian-Leser). Sie boomen.
ist taz-Kulturkorrespondentin in London.
Doch richtig sprachlos machte mich jetzt die Lektüre eines Artikels in der Grazia. Hier erzählte die Autorin, Mitte dreißig, aus London, recht amüsant ihre (Leidens-)Geschichte als „Single“, von Chardonnay-Räuschen, unreifen, doch attraktiven Männern und Sonntagen zum Ausschlafen. Klingt einseitig, aber gar nicht schlecht, wird jetzt jeder mit Stress und Kindern denken.
Die Fahne für das selbstbestimmte Leben reißt die Autorin allerdings jäh herunter, als sie verkündet, dass eine neue Beziehung plus folgende Hochzeit plus Schwangerschaft („Bestes Rezept gegen meinen heftigen Alkoholkonsum! Endlich durfte ich nicht mehr trinken!“) sie aus ihrem alten, scheußlichen „Single“-Leben gerettet habe.
Die Moral von der Geschicht’ ist in ihrer rückschrittigen Wucht erschütternd: Allein zu leben ist, laut Grazia, für eine Frau anscheinend dermaßen problematisch, dass ein neuer Mann nicht nur Sinn im bislang „einsamen“ und „oberflächlichen“ Alltag stiftet. Nicht mehr „Single“ sein, befreit die Autorin sogar von ihrer Trinksucht. Und das, obwohl der neue Ehemann auch noch Weinhändler ist!
Meine Freundin hat recht. Ich werde das Wort „Single“ nicht mehr benutzen, denn es klang noch nie gut und korrekt ist es auch nicht. Denn nur, weil man sich nicht gleich angstvoll in das Modell Kleinfamilie rettet, um nicht mehr „allein“ zu sein, ist man nicht „allein“. Oder wie meine Freundin es ausdrückt: „Ich war in meinem Leben noch nie „single“. Ganz im Gegenteil. Sobald man mit Menschen befreundet ist, führt man Beziehungen. Und sogar sehr viele.“
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