Kolumne Rollt bei mir: „Geht nicht“, sagte sie
Wie gerne würden wir auf den Behindertenbonus verzichten – schon weil das jeweilige Motiv so furchtbar unklar ist.
E s gibt sie, diese Momente im Leben eines behinderten Menschen, in denen man einfach so durchgewunken wird. Wo Kinder sogar vom Management eines Stars (in diesem Fall des israelisch-amerikanischen Geigers Itzhak Perlman) weggeschickt, ich aber durchgelassen werde und so meinem Vorbild aus der Kindheit die Hand schütteln konnte.
Dass ich sogar manchmal süße Kinder aussteche, ist enorm. Was habe ich mehr zu bieten? Süßer betteln kann ich bestimmt nicht, möchte ich auch gar nicht. Irgendein Vorteil muss das Kindsein doch noch haben. Was bitte, wenn nicht klein und süß sein?
Es ist die an dieser Stelle schon oft zitierte Unsicherheit, die herrscht, weil Menschen mit und ohne Behinderung schlicht nicht aneinander gewöhnt sind, was an dieser Stelle genauso häufig angeklungen ist. Dies führt dazu, dass ich früher dran bin als andere. An Schaltern oder in der Kirche beim Abendmahl.
Menschen mit Behinderung nennen dies den Behindertenbonus. Dieser eine Moment, wo es reicht, eine Behinderung zu haben ergo „arm dran zu sein“, um etwas schneller als andere zu bekommen. Man möchte ja nicht an einem Schwächeanfall oder so der Behinderten schuld sein, der jederzeit hier und da passieren kann.
Vor allem für die Optik
Auf diesen Bonus könnten wir gerne verzichten. Denn wäre er nicht, wäre auch die Behinderung nicht da, aber das ist eine andere Geschichte. Die Behinderung ist nun mal da und man nimmt beispielsweise ja auch mehr Platz in einer Schlange mit dem Rollstuhl ein als eine stehende Person, da lohnt es sich schon vor allem für die Optik, mich vorzulassen.
Das Schicksal lächelt einem in diesen Momenten etwas zu, bei dem man die deutsche Gründlichkeit überwindet und beim Amt schneller an einen Stempel oder bei der Bahn an ein Bahnticket kommt.
Im nächsten Moment legt man sich vor besagter Schlange der Länge nach auf die Nase und wünscht sich, den Bonus nicht erhalten zu haben. Denn er ist vielleicht auch als Wiedergutmachung von den Durchlassern gemeint.
Eine Behinderung erzeugt öfters Mitleid und deshalb wird man dann vorgelassen. Aber niemand kann und vor allem muss da irgendwas „wiedergutmachen“. Der-/ diejenige kann dies auch gar nicht.
Wiedergutmachenwollen
Dieses Szenario des Wiedergutmachenwollens ist befremdlich. Es ist vielleicht eine Vorverurteilung in ein „Sie hat es schlecht, also muss man ihr eine Freude machen“. Oder aber eine simple Nettigkeit. Man müsste ein Radar dafür haben, welches Motiv es in diesem Moment ist.
Ich lasse so oft nicht nur Schlangen links liegen, sondern spare auch Zeit bei der Platzsuche. Es gibt Parkplätze für Menschen mit Behinderung sowie Rollstuhlplätze im Kino. Meistens sind sie neben einer der letzten Kinoreihen oben platziert. Da herrscht dann keine Wahl. Neulich verkaufte mir die Kinokartenverkäuferin nur den Rollstuhlplatz, obwohl ich mir eigentlich einen Platz aussuchen wollte, den ich mit den Krücken erreichen würde.
„Geht nicht“, sagte sie, „Brandschutzbestimmungen“, und wies mir den Platz für RollstuhlfahrerInnen zu. Von wegen Bonus.
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