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Kolumne PsychoErschöpfung ist keine Faulheit

Eigentlich sollte ich aufräumen, saubermachen, in den Waschsalon fahren. Eigentlich will ich auch. Aber meine Kapazitäten sind begrenzt.

Die XXL-Maschine ist die einzige, in die das stinkende Hundebett passt Foto: imago/allOver-MEV

E igentlich wollte ich diese Kolumne im Waschsalon schreiben. Neben der XXL-Maschine, der einzigen, in die das Hundebett passt. Seit acht Wochen wird der Geruch des Bettes synchron zur Hitze täglich penetranter, und seit ebenfalls acht Wochen plane ich, das zu ändern – vor allem, um die Beziehung zu meinem Freund nicht zu gefährden.

Mich stört der Gestank auch, aber nur in dem Maße, in dem mich ein leerer Kühlschrank, dreckiges Geschirr und vertrocknete Blumen stören. Solange es sich nicht um Dinge handelt, die überlebenswichtig oder rufschädigend sind, mache ich einfach meinen inneren Lichtschalter aus. Was ich nicht sehen kann, ist nicht da. Klick. In einem Bewerbungsgespräch würde ich behaupten, dass ich wahnsinnig gut darin bin, Prioritäten zu setzen. Aber die Wahrheit ist: Meine Ressourcen sind begrenzt.

Während andere Menschen über die Energiereserven eines Atomkraftwerks verfügen, ähneln meine eher dem Output von Solarzellen ohne Speicherfunktion. Meistens reichen sie nur für das Nötigste: duschen, arbeiten, mit dem Hund rausgehen. Für alles andere, wie Einkaufen, Geschirr spülen und bei 36 Grad in einen Waschsalon ans andere Ende der Stadt zu fahren, ist der Akku zu schwach. Selbst für das ausführliche Telefonat mit einer Freundin, auf das ich mich eigentlich freue.

Die US-Amerikanerin Brittany Ernsperger teilte vor einiger Zeit ein Bild auf Facebook, das einen Berg frisch gespülten Geschirrs zeigt. Darunter schrieb sie: „So sehen Depressionen aus.“ Und präzisierte, dass sie nicht das saubere Geschirr meint, sondern die Tatsache, dass sie es zuvor zwei Wochen lang nicht geschafft hatte, abzuwaschen, obwohl sie doch eigentlich wollte, sollte, gemusst hätte.

Pizza aus Pappschachteln

Man muss keine Depressionen haben, um das nachvollziehen zu können. Eine Angststörung tut es auch. Oder Liebeskummer. Oder Überarbeitung. In Notsituationen fährt der Körper runter und konzentriert sich darauf, am Leben zu bleiben und sich zu regenerieren. Ob das Geschirr sauber ist, ist ihm scheißegal – Pizza essen kann man schließlich auch aus Pappschachteln. Sogar sehr gut.

Das Schlimmste am Nichterledigen ist aber gar nicht, so auch Ernsperger, dass Dinge liegen bleiben, sondern dass einem andere womöglich Faulheit unterstellen. Eine von sieben schlechten Charaktereigenschaften, die als Ursachen von Todsünden gelten, nicht nur in der christlichen Theologie. Dabei ist Faulheit etwas, wofür man sich entscheidet; Müßiggang der bewusste Verzicht auf Pflichten. Bei Erschöpfung bleibt einem gar keine andere Wahl.

Deshalb überlege ich sehr sorgfältig, wofür ich meine Energie einsetze. Und plane genug Zeit ein, um meine Zellen wieder aufzuladen, egal ob vor dem Fernseher oder auf der Hundewiese. Und was das stinkende Hundebett betrifft: Heute Abend fahre ich in den Waschsalon. Nach zwei Tagen Erholung bin ich dann am Montag bei der Arbeit auch wieder voll einsatzbereit.

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taz am wochenende
Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).
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13 Kommentare

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  • Klingt wie die Beschreibung einer leichten Form des Chronischen Erschöpfungssyndroms (ME/CFS), wobei der Begriff "leicht" etwas euphemistisch ist, er sagt lediglich aus, dass Betroffene zwar noch einer Arbeit nachgehen können, aber dafür fast alle Energiereserven verbrauchen. Dabei handelt es sich nicht um eine psychische, sondern um eine organische Erkrankung.

  • Franziska Seyboldt schreibt glaubwürdig und nachvollziehbar. Das zeigt großen Mut trotz Angststörung und nötigt mir großen Respekt ab.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Wie viel Energie hat denn Frau Seyboldt aufgebracht, um den Artikel zu schreiben? Viel kann's nicht gewesen sein, ein Bewerbungsschreiben verlangt mehr Energie und man wird dafür nicht bezahlt.



    Das bisschen Haushalt und den Einkauf kann ja auch ihr Freund erledigen, es sei denn er ist von der gleichen chronischen Müdigkeit befallen. Und er kann ihr auch regelmässig Blumen schenken, damit immer frische auf dem Tisch stehen.



    Eins ist wohl klar: Frau Seyboldt hat vielleicht existentielle Ängste, die sie am Handeln hindern, aber materiell scheint alles in Butter zu sein. Und das ist schon viel wert.

  • "Deshalb überlege ich sehr sorgfältig, wofür ich meine Energie einsetze."

    Dsas Gehirn verbraucht am meisten Energie ;-)



    Vielleicht mal einfach mal machen nicht nachdenken.

  • Finde ich nachvollziehbar.

    Denn um das Aufladen der "Batterie" muss frau sich ja auch noch selbst kümmern, von außen kommt ja nixxx, das mal Freude oder ein Erfolgsgefühl bereiten würde, muss ja immer alles und jede|r aus sich selbst heraus funktionieren.

    Das ist ermüdend und nur zu funktionieren ist mir eh zu "wenig", um nicht zu sagen, am Leben vorbei.

    Und um zu kommentieren, bin ich nicht zu schlapp… , ich kann verstehen, ich kann verstehen.

    • @Frau Kirschgrün:

      "Und um zu kommentieren, bin ich nicht zu schlapp… , ich kann verstehen, ich kann verstehen."

      Das eine schließt das andere nicht aus, und man kann sich sogar gleichzeitig noch etwas Humor bewahren ;-)

      • @schuhwerfer:

        Wie meinen?



        Ich fand's doch lustig und ich versteh's auch noch…

        Jaja, die Hitze…

        • @Frau Kirschgrün:

          Alles gut! Nun hab ich doch kommentiert, wie inkonsequent...

  • Ich war mal (vor langer Zeit) Student und habe mit einem Freund in einer 2 Zi Wohnung in einem Hochhaus in FFM gewohnt. Dort gab es im Souterrain 3 Waschmaschinen für alle Bewohner des Hauses zur freien Benutzung. Toll, dachten wir, weil wir natürlich uns sowas nicht anschaffen konnten und auch nicht wollten – für unser bisschen Wäsche. Als wir dann voller Freude das erste Mal diesen Komfort benutzen wollten haben wir gesehen, dass viele andere Mieter des Hauses (deutlich älterer und weit arrivierter als wir 2 Studis) die hauseigenen Waschmaschinen nur für ihre Hundedecken benutzen. Ihre sonstige Wäsche haben die arrivierten Mieter mit ihrer Maschine in ihrer Wohnung gewaschen. Wenn ich jetzt lese „mich stört der Gestank“ verstehe ich das sehr gut, uns hat der Gestank damals in FFM auch sowas von gestört. Wir sind dann für unsere Mini-Wäsche gelegentlich in öffentliche Waschsalons gegangen (meist aber von Hand selbst gewaschen). Zum Glück war das vor der Zeit, als TAZ-Redakteurin Franziska Seyboldt auch öffentliche Waschsalons benutzt.

  • Erschöpfung von was?

  • Bin gerade viel zu schlapp zum kommentieren...

  • Leider macht Faulheit noch fauler. Wer sich nur noch schont, kann nicht oder nur mit großer Mühe schaffen. Letzteres erschöpft noch mehr.

    Weniger ist mehr, wenn die eigenen Ansprüche (etwas) kleiner werden.

    Depressionen sind was anderes, die gehen vorbei. Faulheit bleibt.

    • @Taztui:

      "Depressionen sind was anderes, die gehen vorbei"

      Ich glaub, Du verwechselst Depressionen mit einer vorübergehenden depressiven Verstimmung.