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Kolumne PsychoAnimateur in der AfD-Geisterbahn

Kurz vor der Bundestagswahl haben nicht nur Politiker viel zu tun. Auch die Angst ist derzeit schwer beschäftigt. Ein Gespräch.

Buuuu-huuuu Foto: photocase/estherm

Wo warst du denn schon wieder so lange?“, frage ich, als die Angst reinkommt und den Schlüssel auf die Kommode im Flur schmeißt. „Es ist fünf vor 12!“

„Bei der AfD“, sagt die Angst, geht zum Kühlschrank, holt den Wodka raus und kippt die komplette Flasche in ein großes Ikea-Glas. „Ich bin völlig erledigt.“

„Seit Wochen geht das so. Was wollen die denn immer von dir?“

„Ach, das Übliche“, sagt die Angst. „Die schwingen ihre Reden, ich stehe im Hintergrund und schneide Grimassen. Buuuu-huuuu. Dauert Stunden, das Make-up. Vor allem, wenn ich wieder mal den Nordafrikaner geben soll.“

Sie lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück und legt die Beine auf den Tisch.

„Dann bist du jetzt also Model, ja?“, frage ich.

„Eher Animateur in einer Geisterbahn. Heute musste ich sogar mit einem Lieferwagen über die Bühne fahren. Dabei hab ich gar keinen Führerschein.“

Die Angst kichert.

„Hätte fast die Weidel umgefahren. Fanden die aber gut. So authentisch.“

„Das ist alles ganz schön traurig“, sage ich.

„Einerseits“, sagt die Angst. „Andererseits kann ich gar nicht so viel Geld ausgeben, wie ich gerade verdiene.“

Sie holt ein Bündel Scheine aus der Hosentasche und fächert es zärtlich auf.

„Kein Wunder“, sage ich. „Das sind ja auch D-Mark.“

„Und wenn schon“, sagt die Angst. „Kommt alles wieder.“

„Heißt das etwa, du wählst am Sonntag die AfD?“

„Quatsch“, sagt die Angst. „Du solltest mich doch mittlerweile gut genug kennen. Es ist nur ein Job. Mal abgesehen davon, dass ich gar nicht wählen darf, als Behindernde.“

„Ähm, da hast du aber was falsch verstanden“, sage ich. „Du meinst Menschen mit Behinderung, die eine sogenannte Vollzeitbetreuung bekommen.“

„Whatever“, sagt die Angst.

„Nee, nix whatever!“, rufe ich. „Das sind immerhin knapp 85.000 deutsche Staatsbürger, zusammen mit den schuldunfähigen Straftätern, die in einer psychiatrischen Anstalt sitzen. Die dürfen alle nicht wählen. Und die AfD will das übrigens nicht ändern.“

„Okay, okay“, sagt die Angst und hebt beschwichtigend die Hand.

Ich nehme ihr Glas und trinke den Wodka aus.

„Irgendwie fühle ich mich persönlich angegriffen, wenn du dich so von denen manipulieren lässt. Schließlich beschäftige ich mich schon seit Jahren mit dir. Ich dachte, du hast eine im Kern gute Agenda, auch wenn du die meistens gut verschleierst–“

„Burkaverbot!“, ruft die Angst, sieht meinen Blick und schiebt hinterher: „Spaß.“

„Mit dir kann man echt kein ernstes Gespräch führen“, sage ich.

„Bist du etwa eifersüchtig, weil ich mich nicht nicht nur um dich kümmere?“, fragt die Angst und stützt ihr Gesicht auf die Hände.

„Das ist nicht der Punkt“, sage ich. „Aber apropos: Wusstest du, dass AfD-Wähler sich signifikant häufiger als andere in der Liebe verarscht fühlen, gleichzeitig aber signifikant seltener der Aussage zustimmen, dass sie eine solidarische Welt wollen, in der die Menschen liebevoll miteinander umgehen?

„Voll schizophren“, sagt die Angst.

„Tja.“

Wir schweigen ein bisschen vor uns hin.

„Ich sag jetzt was, das ich vielleicht noch bereue“, sage ich, „aber bevor du weiter für die AfD arbeitest…“

„Ja?“

„Bleib einfach hier bei mir. Ich kann dir zwar kein Geld geben, aber Wodka. Und Liebe. Wir können es uns so richtig nett machen. Oder uns zugrunde richten. Hauptsache, es bleibt unter uns.“

Ich nehme ihre Hand.

„Trau dich, Angst.“

„Und ich dachte schon, du fragst nie.“

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taz am wochenende
Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).
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