Kolumne Pressschlag: Nie wieder Maschmeyer
Seit Winfried das Jugendteam auf Trab bringt, tangieren ihn die Bundesliga und seine Ehe nur mehr peripher. Stattdessen überlegte er, den Gegner vorab zu beobachten.
A ls ihn sein Frau abends beim Fernsehen gefragt hatte, was er da eigentlich schon wieder zusammenkritzle, hatte Winfried einfach nicht geantwortet. Schon das war ungewöhnlich, ein Wagnis, das er früher nie eingegangen wäre. Und als sie nachgefragt hatte, ob er nun nicht nur senil, sondern auch noch taub geworden sei, hatte er sie mit einem so frechen Bubengrinsen angestrahlt, dass sie Unverständliches murmelnd aufgegeben hatte, eine billige Rache im Wechsel des Senders suchend.
Sollte sie – was kümmert ihn das „Sportstudio“. Sein Leben war jetzt neu aufgestellt. Bevor er Trainer geworden war, hatte er seine leeren Stunden mit erotischen Tagträumen verbracht oder mit der Frage, wie man es in dieser Welt zu etwas bringen konnte, ohne den Maschmeyer zu geben.
Winfried wusste: Er war kein außergewöhnlicher Mensch. Aber er wollte in seiner Zeit hienieden weder Betrüger sein noch Prostituierte. Die Anfrage, als Trainer einer Jugendmannschaft einzuspringen, war da gerade recht gekommen. Ein Mann von 46 Jahren ohne Perspektiven in Berufs- oder Privatleben hatte Winfried nun die Lust an der Taktik entdeckt. Sieben Feldspieler wollten erfolgversprechend über das Kleinfeld verteilt und verschoben werden.
ist tazzwei- und Meinungsredakteur der taz.
Und tatsächlich: Seit seine Mannschaft mit einer Viererkette spielte, seit er den Außenverteidigern das Stürmen ausdrücklich gestattet, die kopfballstarken, aber lahmen Innenverteidiger zur Absicherung hinten festgenagelt, aber bei Ecken nach vorne gepeitscht hatte, seit er die Mittelfeldfummler zum Rennen und die einzige Spitze zum Pressing gebracht hatte – da lief die Sache. Nicht immer, der Kader war der Kader und die Gegner die Gegner. Aber eine Verbesserung war unübersehbar.
Winfried konnte nun nicht mehr zurück, er wollte weiter. Und so kritzelte er Abend für Abend Skizzen, die jede nur denkbare Spielsituation antizipieren sollten. Was sollte er da mit der Bundesliga? Ihm war nur wichtig, dass Dortmund Meister würde. Weil sonst das Gejammere wieder losginge, dass dem Meister der Herzen der Sieg von den dummen Bayern entrissen und so weiter. Dieses Genöle wollte Winfried sich gern ersparen. Dortmund – und fertig!
Hertha war einfach irre
Da kam das 4:4 des BVB gegen die Stuttgarter natürlich ungelegen, genau wie der Bayern-Arbeitssieg beim Club. Was die unteren Ränge anging, so liebte Winfried keine Wiederholungen. Lautern gut, aber Hertha war schon einmal mit ganz ansehnlichem Fußball abgestiegen. Das brauchte er nicht noch mal.
Aber Hertha war einfach irre. Köln musste dafür unbedingt auf dem Relegationsplatz bleiben, fand Winfried. Poldi gegen Rösler, Köln gegen Düsseldorf – das wäre was Neues! Und Winfried war gerade sehr für Neues.
Seine Frau stand ächzend auf und ging zu Bett. Winfried setzte sich vor den Rechner und ging auf Fussball.de. Zwar war gerade spielfrei, aber er wollte doch noch einmal die Tabellensituation seines Teams vor sich sehen. Jetzt war der Kopf frei, um sich auf das nächste Spiel mental einzustellen. Winfried kam der Gedanke, den Gegner vorab zu beobachten.
Übertreib es nicht, sagte etwas in ihm. Sicherheitshalber checkte er aber trotzdem schon mal die Trainingszeiten. Als er am nächsten Morgen die kurze Notiz seiner Frau las, mit der sie ihm das Ende ihrer Ehe mitteilte, fragte er sich, warum er nicht schon viel früher auf die Idee mit dem Kiebitzen gekommen war.
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