Kolumne Press-Schlag: Kim Jong Schröder
Der Konfrontationskurs von Hannover 96 gegen die Ultras wird scheitern. Denn sie gehören zum Markenkern des Geschäftsmodells Bundesliga.
I n dieser Woche hat man eine gewisse Ahnung bekommen, wie sich Altbundeskanzler Gerhard Schröder den idealen Fußballfan vorstellt: Verlässlich lautstark und gelehrig, ein treuer vorbehaltloser Unterstützer seines Vereins und deren Lenker. In etwa so wie er es vor wenigen Tagen mit seiner koreanischen Herzallerliebsten bei den Winterspielen in Pyeongchang erleben durfte, als die dem nordkoreanischen Führer Kim Jong Un ergebenen Ultra-Frauen die eigenen Sportler mit stimmgewaltiger Synchronität nach vorne peitschten.
Denn Schröder, Aufsichtsratvorsitzender von Hannover 96, stänkerte gegen die Ultras. Ihr Kampf gegen Vereinsboss Martin Kind und dessen Allmachtsbegehren geißelte er als „destruktiv“. Seine Idee, wie man mit Kritikern umgeht, hatte eine ebenfalls leicht nordkoreanische Note. Er kanzelte sie als „ärgerliche Randerscheinung“ ab und empfahl: „Das Einfachste ist doch, dass sie wegbleiben.“
Die Lage ist nur deutlich komplizierter, weshalb die Führungsetage von Hannover 96 mit ihrem Konfrontationskurs zum Scheitern verurteilt ist. Die Ultras, verantwortlich für den stimmungsvollen Stadionsound und aufwendige Choreografien, gehören längst zum Markenkern der Bundesliga. Ihre Neigung, sich als Sprachrohr vor einem Millionenpublikum zu inszenieren, mag nerven, doch klar ist: Das Geschäftsmodell Bundesliga floriert auch dank der Ultras.
Bilder und Atmosphäre, die sie kreieren, sind vielen Sponsoren viel Geld wert. Die Ultra-Gesänge werden längst vielfach verwertet. Auch auf den Spielkonsolen geben sie den kaufwütigen Computerspielfreaks den letzten Kick.
Absurde Verrenkungen
Und bleibt das Anfeuern aus oder wird gar durch Pfiffe ersetzt, werden wie in dieser Woche in Hoffenheim Krisengipfelsitzungen einberufen. Trainer Julian Nagelsmann tauschte sich zwei Stunden lang mit Fanvertretern über die miese Stimmungslage aus. Über die Ergebnisse der Verhandlungen wurde Stillschweigen gewahrt.
Je mehr der Kulturkampf, wem eigentlich der Fußball gehört, in diesen Tagen an Zuspitzung erfährt, desto absurder werden derzeit auch die Verrenkungen, welche die Spitzenfunktionäre vollziehen. Die von den Fans zuletzt mit massiven Protesten begleiteten Montagsspiele mag Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke auf einmal nicht mehr, obwohl der Verein vor geraumer Zeit dafür gestimmt hat.
Watzke versprach, dass man sich auf der nächsten DFL-Sitzung gegen eine weitere Zersplitterung der Spieltage einsetzen werde. Martin Kind von Hannover 96 giftete, solche Aussagen würden es nicht leichter machen, „die Meinungsführerschaft zu übernehmen“. So einfach wie das Kim Jong Un bei seinen Ultras bewerkstelligt hat, ist es in der Bundesliga nicht. Zumindest das hat man bei Hannover 96 erkannt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis