Kolumne Press-Schlag: Das kleine Abc der großen Trickser

Was Guttenberg angestellt hat, war doch harmlos - verglichen mit Armstrong, Berlusconi oder Contador. Vielleicht sollte er bei diesen verdienten Schummlern mal abgucken.

Da kann Silvio nur die Hand vor den Kopf schlagen: Guttenberg spielt in Sachen Schummeln noch nicht auf internationalem Niveau. Bild: dapd

Deutschland ist wieder Moralweltmeister. Aber knapp war die Sache schon. Zwei lange Wochen schien es, als würde der auf dem akademischen Feld mit verbotenen leistungsfördernden Substanzen erwischte fränkische Abstauber KT zu G weiter im Wettkampfbetrieb bleiben dürfen und das internationale Abc der Groß-Täuscher - Armstrong, Berlusconi, Contador - um eine adlige Komponente bereichern.

Zu Guttenberg aber trat ab und erlaubte der Nation, mit alter Geringschätzung auf eine Sportart wie den Radsport, internationale Verbände wie die UCI, die Sportjustiz in Ländern wie den USA und Spanien sowie die gesamte politische Landschaft Italiens herabzublicken.

Erinnern wir uns kurz: Gegen den siebenfachen Tourgewinner Lance Armstrong liegen Zeugenaussagen und Anhaltspunkte für knapp zwei Dekaden Doping vor. Im Kader der US-Straßenfahrer, die sich auf Olympia 1992 vorbereiteten und zu dem Armstrong gehörte, wurde gerichtsfest Doping nachgewiesen. Mitte der Neunzigerjahre animierte er laut Aussage des Motorola-Profis Stephen Swart das gesamte Team zum EPO-Doping.

1999 bagatellisierten Tour de France und UCI einen positiven Test auf Kortikoide und akzeptierten die Erklärung des Amerikaners, er hätte sich den Hosenboden durchgescheuert und bei der Behandlung dieser Wunden den Beipackzettel nicht richtig studiert. Er wartete übrigens nicht mit der Entschuldigung auf, dass seine damalige Frau Kristin zu diesem Zeitpunkt hochschwanger war.

Der von der Doperseite auf die der Aufklärer gewechselte Floyd Landis bezichtigte Armstrong für die Jahre 2002 und 2003 des Dopings und des Vertuschens einer positiven Probe. Pikanterweise ging eine Geldspende Armstrongs just zu diesem Zeitpunkt bei der Kontrollinstanz UCI ein. Eine weitere wurde 2005 verbucht. Im gleichen Jahr wurde bei Nachtests von Armstrongs 99er-Tourproben EPO nachgewiesen. Die mit Geldspenden bedachte UCI erachtete die Beweise als nicht ausreichend. Der US- Verband, der damals von Vertrauten des Armstrong-Sponsors Thomas Weisel geleitet wurde, verzichtete komplett auf eine Untersuchung.

Ähnlich korrupt geht es in Spanien zu. Nicht nur die Ermittlungen zu "Operacion Puerto" wurden auf ein strafrechtliches Abstellgleis geschoben. Ministerpräsident und Sportminister des Landes stellten sich auch demonstrativ vor den im letzten Jahr mit Clenbuterol erwischten dreifachen Toursieger Alberto Contador. Dessen ursprünglich ausgekungelte Strafe von einem Jahr wurde erlassen.

Noch ärger treibt es Silvio Berlusconi. Er ist prominentester Angeklagter und erster Mann im Staate in Personalunion. Ermittlungen wegen des Waschens von Mafia-Geldern und Begünstigen von Mafiosi konnte er sich wegen Verjährung der Delikte entziehen. Den aktuellen Verfahren wegen Steuerbetrug, Korruption, Amtsmissbrauch und Umgang mit minderjährigen Prostituierten versucht er durch Gesetzesänderungen und Justizreformen zu entgehen. Berlusconi setzt sich seit bald drei Jahrzehnten über das Recht, vor dem alle gleich sein sollten, hinweg. Armstrong betreibt diesen Tanz seit 20 Jahren, Contador immerhin seit fünf, wenn man die "Operacion Puerto" beachtet.

Zu Guttenbergs zweiwöchentliche Bagatellisierung wirkt da wie ein Kinderspiel. Seine Argumentationslinie - ein Versehen, ihn treffe keine Schuld -, aber auch seine Abwehrmuster - verantwortlich seien die (linken) Medien - ähneln jedoch verblüffend den Strategien der fatalen drei. Und wie sie - die von halb Italien (Berlusconi), der Mehrheit des US-Sportpublikums (Armstrong) und fast ganz Spanien (Contador) bejubelt werden - zieht auch zu Guttenberg aus dem Zuspruch, den er bei Teilen der Bevölkerung genießt, den Schluss, er könne sich über die Regeln, die für den Rest der Gesellschaft gelten, locker hinwegsetzen. Wer mit medialer Bedeutung aufgeblasen ist, sieht sich der Sphäre des Rechts enthoben.

Diese vier sind aber keine finsteren Ausgeburten der Mediengesellschaft, sondern folgerichtige Produkte von auf Resonanz geschalteten Subsystemen. In ihnen gelangt das Extreme zur Sichtbarkeit: der Politiker "neuen Typs", der Sportler, der eine schier übermenschliche Leistung vollbringt. Willfährig in Kauf genommen werden bei solchen Performances leistungssteigernde Substanzen. Ein falscher Doktortitel, der Türen schneller öffnet. Der Nimbus des erfolgreichen Unternehmers, obwohl der Reichtum vornehmlich auf erst illegalen und später vom Staat zur Verfügung gestellten Geldern beruht. Ausdauerleistungen schließlich, die nur dank verbotener Produkte erreicht wurden.

In Deutschland sahen sich exponierte Täuscher wie zu Guttenberg und einige Jahre zuvor Jan Ullrich durch öffentlichen und medialen Druck zum Rücktritt gezwungen. Dies kann als Beleg für die demokratische Verfasstheit der Gesellschaft gelten. Wir sind Rechtsstaat, hurra! Beschämend bleibt aber, wie lange und wie intensiv der Druck wirken musste. Und solange die Mechanismen, die Betrug einerseits bagatellisieren und andererseits zur Voraussetzung außerordentlicher Leistungen machen, weiter in Kraft sind, wird es nicht lange dauern, bis dem Alphabet der Täuscher weitere Namen hinzugefügt werden müssen.

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