Kolumne Press-Schlag: Burys Bhutia
Ist eigentlich noch normal, wer unbedingt sehen will, wie der FC Bayern München gegen Indien spielt?
E s geht wieder los. Morgen kann er nicht, hat er gesagt, als ihn sein Freund gefragt hat, ob sie nicht mal wieder ein paar Bier zusammen trinken können, und dass er Wein gekauft hat, weil die Frauen sich vielleicht auch wieder mal sehen wollen. Seine Bayern spielen wieder. Um sechs bei Sat.1. Kein normales Testspiel, sie spielen ein Länderspiel gegen Indien. Und er will sehen, ob das stimmt, was aus Katar berichtet wird, dass der Japaner immer besser wird, dass der Breno nicht mehr so traurig dreinschaut und dass der Schweini vom Chefchen endlich zum Chef geworden ist. Das mit dem Treffen wird schon noch, das Jahr ist ja noch jung und ein bisschen Zeit ist ja noch, bis er gar keine Zeit mehr hat.
Er hat das ja verstehen können, dass sich sein Freund gewundert hat damals, als er eine Einladung nicht angenommen hat, weil er unbedingt das Montagsspiel der Zweiten Liga anschauen wollte. Er wollte endlich einmal wissen, wie gut Greuther Fürth in dieser Saison wirklich ist. In den Wochen davor hatte er wissen wollen, wie gut die Eintracht wirklich ist und warum Düsseldorf so gut ist. Und Europapokal schaut ja wohl jeder. Bundesliga sowieso. Und heute? Ein Länderspiel haben die Bayern nun wirklich nicht jeden Tag.
Jetzt sitzt er vor dem Computer und bereitet sich mithilfe von Wikipedia auf das Spiel gegen Indien vor. Er will schließlich beurteilen können, ob das, was Kommentator Wolff-Christoph Fuss von sich gibt, auch stimmt. Deshalb macht er sich Notizen. Dass Indien auf Platz 161 in der Fifa-Weltrangliste steht, wusste er schon aus der Zeitung. Jetzt informiert er sich über den langjährigen Mannschaftskapitän Baichung Bhutia, der gegen die Bayern sein Abschiedsspiel aus der Auswahl bestreitet. Schnell weiß er, dass der der erste Inder war, der in Europa einen Profivertrag unterschrieben hat, in der dritten englischen Liga beim Bury FC. Im Internetauftritt einer indischen Zeitung schreibt einer, dass Bhutia der Maradona und der Pelé des indischen Fußballs ist.
ist Sportredakteur der taz.
Und dass er am Sonntagnachmittag nicht kann, darauf hätte sein Freund wirklich selbst kommen können. Da spielen die Bayern bei Rot-Weiss Erfurt, und der MDR überträgt. Das ist doch nicht normal, hat sein Freund gesagt, und das wäre doch auch mal eine Gelegenheit gewesen, die Kinder wieder mal zusammenzubringen. Was heißt hier eigentlich Freund, fragt er sich und: Hat der vielleicht was gegen Fußball? Das wäre doch wohl nicht normal.
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