Kolumne Press-Schlag: Vergebe unseren Schuldigern!
Trainer Huub Stevens hat nachgerechnet: Ohne Fehler stünde der VfB Stuttgart im Abstiegskampf viel besser da. Ärgerliche Geschichte.
F ehler werden im Allgemeinen für überflüssig gehalten. In der Fußball-Bundesliga und insbesondere bei den Abstiegskandidaten sowieso. Reduzieren wir doch etwa die Aussagen von Huub Stevens nach der Partie gegen Schalke 04 auf ihren wesentlichen Kern: „Wir machen wieder unsere Fehler, …, aber dann machen wir wieder Fehler, … Und wir machen Woche für Woche Fehler.“
Es ist wirklich schrecklich, dass diese Fehler den doch so existentiell bedeutsamen Abstiegskampf immer so verzerren. Es gibt ja diese Gerechtigkeitsfanatiker, die sich die Mühe machen, Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern aus den Ergebnissen herauszurechnen, um dann die einzig wahre Tabelle zu präsentieren. Wie wohl die Tabelle von Huub Stevens aussehen würden, wenn er nicht nur die Fehler der Unparteiischen, sondern auch die seiner Profis aus den VfB-Spielen herausrechnen könnte?
Vermutlich wäre dann die Saison von Bayern München, bei denen bis vor Kurzem allenfalls die medizinische Abteilung Fehler machte, lange nicht so beschaulich verlaufen. Die Null hätte beim VfB hinten gestanden und wären die Zuspiele in die Spitze weniger mangelhaft ausgefallen, hätten Harnik und Ginczek locker so viel Scorerpunkte angehäuft wie Robben und Lewandowski.
Genauer besehen begehen Sportler ja Fehler der besonderen Art: individuelle Fehler. Auch Stevens verdeutlicht nach Niederlagen gern, dass mal wieder individuelle Fehler den Spielverlauf auf den Kopf gestellt haben und seine Warnungen davor unerhört blieben. Nirgendwo sonst wird der Begriff derart inflationär gebraucht. Man stelle sich einmal vor, der Bundesnachrichtendienst (BND) würde in Kürze die Erklärung versenden: „Aufgrund individueller Fehler konnten unsere Abhöranlagen auch vom US-Geheimdienst NSA genutzt werden.“ Aber warum werden ausgerechnet in einer Teamsportart wie Fußball Fehler systematisch individualisiert?
Nun ja, für Trainer ist der Terminus sehr nützlich. Kann man mit ihm doch suggerieren: Wenn sich alle kollektiv an meinen duften Plan gehalten hätten, müssten wir jetzt nicht alle um unsere erstklassigen Bezüge bangen. Umso verstörender wirkte es, als vergangene Woche Freiburgs Trainer Christian Streich einen individuellen Fehler der noch nicht bekannten Art ausmachte. Er gab sich selbst die Schuld, dass sein Team die erste Hälfte so verängstigt umherirrte. Er erklärte: „Die erste Halbzeit geht auf meine Kappe.“
Huub Stevens würde sich einer solchen Selbstkasteiung nicht unterziehen. Auf die Frage, ob er seine Spieler nicht etwas zu hart anfasst, hat er kürzlich nur milde gelächelt. Im Vergleich zu früher sei das doch gar nichts, meinte er. Sprich: Früher wurden noch mehr individuelle Fehler gemacht.
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