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Kolumne ParallelgesellschaftenUnd dann kamen wir nach Dahlem

"Vergangenheit bewältigt, jawoll!" - wie ich einem Freund aus den USA mal zeigen wollte, wie bunt Deutschland ist.

M it einem Freund aus New York neulich unterwegs. Er hatte keine besonderen Pläne, er kam zum ersten Mal nach Deutschland, Berlin, sagte er, "ist ja echt angesagt" in seiner Stadt, die er "echt viel zu sauber findet". Jim ist ein aufgeklärter Bohemien, er ist schwer mobil, global gut unterwegs, jetzt ist mal Deutschland dran. Er kommt aus einem Kaff in der Nähe von Salt Lake City, irgendwo, um es zu beschreiben, "da, wo Truman Capote seine Männer aus 'Kaltblütig' auch hätte ansiedeln können".

taz

Jan Feddersen (50) ist Autor und Redakteur. Besonders für die Ressorts taz.mag und tazzwei.

Jedenfalls musste er mit, und zwar ins Niedersächsische, einer beruflichen Angelegenheit wegen - und "Niedersachsen klingt so romantisch", und es ist ja bekannt, dass Amerikaner Deutschland für ein Dorf halten, deren Mitte Drosselgasse heißt, ein Hofbräuhaus steht und die Reeperbahn irgendwie ein Marktplatz ist. Jedenfalls sagte Jim, 41 Jahre, Verlagsmanager mit wissenschaftlichen Meriten in Geschichte, Spezialgebiet globale Einwandererströme, in Nordhorn plötzlich: "Das sieht hier ja aus wie ein Lebensborn." Und gemütvoll sei es auch nicht, alles platt, plan, eben. Oh, Jim, die Nazis sind hier nicht mehr, die Übriggebliebenen doof oder alkoholkrank oder minderbemittelt sonst wie, uncool. Ist doch ne Leistung: Nazistisches zum Tut-man-nicht zu machen, zum Gehört-sich-nicht. Vergangenheit bewältigt, jawoll!

Jim winkt ab. "Klar, keine Sturmtruppen in hosenscheißerbraunen Uniformen. Aber die sehen alle so blond aus. Habt ihr keine Deutschen mit afrikanischem Hintergrund?" Er erzählt, dass man in New York leicht mal die Hautfarbe übersieht, weil irgendwie überall alle anders aussehen, teintmäßig. Natürlich sagt man nicht, "honestly said", "sinoamerikanisch", sondern "asiatisch", weil Blasshäutige wie er das nun mal nicht zuweisend rassistisch meinen, sondern man beim Erzählen anderen gegenüber einfach irgendwas zur Beschreibung eines Menschen sagen will. Und die Hautfarbe ist nun mal ein guter erster Hinweis auf das, was irgendwann, ganzheitlicher quasi, detaillierter gehalten werden muss. Jim aber sagt: "Nee, das sieht hier so aus, als ob die Nazis alles Bunte ausgelöscht haben. Blond, dunkler, heller, brünett, aber alles europäisch. Eine Gesichtssorte nur."

In Berlin werde das anders sein, schwor ich ihm, aber leider kamen wir nach Dahlem, nach Schmargendorf und nach Kleinmachnow, einem Vorort der Metropole in Brandenburg, ebenfalls nahm ich ihn mit, er nannte das später seine "wunderbaren Ethnobesichtigungsausflüge". Aber auch in diesen besseren Quartieren sagte er, allerdings still, "hier sehen ja alle aus wie the Herrenmenschen", und er sprach dies mit seinem absolut vermanschten amerikanischen Akzent aus.

Auch im Fernsehen, Jim, der Mann, der das Bunte so nimmt, wie es ist, nämlich offenbar das Normale, sah in fünf Tagen nur "Ungemischtes". Fernsehtanten, Moderatorinnen, Nachrichtensprecher, Schauspieler und Shows: "Habt ihr nicht wenigstens mal ein paar Türken parat. No way?" Wir mussten zu den Privaten schalten, da gibt es sie doch, die "Ausländer" ("wieso sagt ihr Ausländer? Die leben doch schon lange hier, oder?"), auf ProSieben oder RTL. Leider hatte ich kein Video parat mit Django Asül, ich hätte ihm bewiesen, dass sich Deutschland längst am ethnischen Mischen ist. Er belehrte mich sanft: "Ich glaube es doch, dass da was wird. Aber im Moment sieht Deutschland aus wie eine Sektengesellschaft." Hoffnungslos, so verstand ich ihn, auf einem Ton summend, alte Kameraden überall, die neuerdings auch anfangen, das bisschen frische Luft seit Achtundsechzig als viel zu frische Minze auszuspeien.

Ich fühlte mich mit ihm an der Seite immer ein wenig mit Vorwürfen belegt. Immerhin hält er mir zugute, in Neukölln zu wohnen, auch wenn er mäkelte, "na, die paar Araber machen das auch nicht gerade farbiger". Und es sind ja vor allem Türken, neue Deutsche ja alles in allem, die ihre Familiengeschichten rund ums Mittelmeer verorten, aber das ihm zu erklären, dass ebendiese Türken den Altdeutschen oft auch schon zu viel sind, ist mir doch jetzt zu peinlich.

Fragen an Jim? kolumne@taz.de

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

1 Kommentar

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  • WK
    Wolfgang König

    Lieber Jan Feddersen,

     

    was soll mir denn dieser Satz sagen: "... es ist ja bekannt, dass Amerikaner Deutschland für ein Dorf halten, deren Mitte Drosselgasse heißt, ein Hofbräuhaus steht und die Reeperbahn irgendwie ein Marktplatz ist"?

     

    Amerikaner, deren Mitte Drosselgasse heißt, halten Deutschland für ein Dorf, ein Hofbräuhaus steht und die Reeperbahn ein Marktplatz ist?

     

    Hat da die moderne Technik verrückt gespielt, oder ging da einfach ein Journalist mit seinem Werkzeug, der Sprache, so lieblos um wie mancher Klempner mit seiner Zange?

     

    Beste Grüße

     

    Wolfgang König

     

    Berlin