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Kolumne ParallelgesellschaftDer Morgen danach

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Der Präsident im Wartestand und die Hoffenden: ein Projekt mit Missverständnissen.

S chon in der Nacht der Auszählung, aus zeitverschoben europäischer Sicht gesprochen, gab es ja manche, die unkten: Na, jetzt haben wir ihn alle gewählt - unsereins hat ja quasi rund um die Uhr so empfunden, als stünden wir selbst als Aufpasser an den Stimmzettelurnen -, aber das wird ja schon wieder nix. So gewaltig habe doch Barack Obama gar nicht gewonnen, nur wenige Prozent trennten ihn am Ende vom Kriegsveteranen und seiner Eishockeymama. Man darf hinter dieser Haltung gern das vermuten, was schon Walter Benjamin vor 80 Jahren als These in die Welt hob: Die Linke mag nur eines mehr als das Gewinnen - das Verlieren. Sie liebe die Niederlage, denn erst in ihr spüre sie sich als im Staub liegende Menschheit, die von den Übermächtigen an der Auferstehung gehindert werde. Der Philosoph nannte diesen Gemütszustand melancholisch, und der Unterschied zur Trauer sei, dass man aus einer Melancholie nicht zu handeln imstande sei, sie grundiere, ins Depressive gehend, alles andere.

Bild: taz

Jan Feddersen ist Autor und Redakteur in den Ressorts taz.mag und tazzwei.

Nun sind ja längst Sandkörner im Getriebe der Obamanie. Die Gleichen, die in Kalifornien den Popstar aus Chicago wählten, watschten die Homos ab - ihre Bürgerrechte wurden beschnitten: Die Liebe homosexueller Paare ist von der Mehrheit en passent entwertet worden. Klar, der Kampf geht weiter, und es hat ja, was die Rassismusfrage in den USA anbetrifft, fast Jahrhunderte gedauert, ehe auf den Trümmern von Onkel Toms Hütte ein Weißes Haus errichtet werden konnte. Die Homos und ihre Rechte kommen eben später dran, andere mussten sich ja auch gedulden, möchte man sagen. Wobei es schwer fällt, im Moment monströser Enttäuschung einen auf Geschichtsphilosophie zu machen - so von wegen: Der gute Lauf der Dinge wirds richten. In Kalifornien jedenfalls gab es, ungern gehört von den Linken Europas, Unruhen, Empörung und Wut.

Schätzungsweise wird die noch weiter wachsen, denn die neue Regierung wird wahrscheinlich klug genug sein, jetzt keinem linksradikal anmutenden Programm Zucker überzuziehen: Man will schließlich nicht wie Clinton und die Seinen vor knapp 16 Jahren so ins Böse straucheln, dass schon in Bälde wieder die Bush-Erben ans Ruder kommen können. Man wird auf Moderates halten und nicht gleich alles im Hier und Jetzt sofort erledigen können.

Die Fantasie könnte doch auch in eine solche Richtung gehen. Erst einmal, beinah unabhängig von Projekten und ob diese schnell ins Werk gesetzt werden, darf man sich freuen. Was die USA, ach was: Amerika, vor gut einer Woche zelebrierte, war wirklich bewegend. Wer die erlösenden Tränen von Afroamerikanern sentimental fand, hat entweder kein Herz oder die Macht des Rassismus nie verstanden. Das ist schon eine Menge für sich. Ähnliche Hoffnungen wie Obama verkörperte in Deutschland zuletzt Willy Brandt - 1969 sollte endlich die Party losgehen. Schluss mit Muff und Erstickungsnot.

Es waren diverse Umstände, die sie verhagelten, auch Linke trugen zu ihnen bei. Es war alles nicht eigentlich genug, nicht heilsbringend im Wahren. Dass die graswurzeligen Campaigner Brandts 1969 aus ihrer Enttäuschung zehn Jahre später eine Partei namens die Grünen gründeten, darf als späte Genugtuung verstanden werden. Quasi: ein Projekt, in dem der moralische Überschuss der Besondersgutmeinenden landete.

Was Obama stiftete, wird nicht verloren gehen, schätze ich. Es geht doch nie etwas verloren. Und es ist, religiös fast empfunden, so etwas wie Saat gelegt worden. Vor ihr haben all die biederen Eishockeymütter, Pietisten, Biedersinnigen und Bush-Adepten noch mehr Furcht als vor dem Gewählten selbst. Sie ahnen: Amerika ist jetzt anders. Diese Saat könnte sprießen und blühen. Sie kommt cool daher und hoffentlich nicht allzu besserwisserisch im Verhältnis zu den aktuell Minderheitlichen. Sie mögen sich zügeln, Hochmut kommt vor dem Fall, nicht wahr.

Der Kampf geht, auch an all den Morgen danach, weiter, immer, heilungslos. Die Welt bleibt immer unfertig.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, Meinungs- und Inlandsredaktion, Wochenendmagazin taz mag, schließlich Kurator des taz lab und der taz Talks.. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

2 Kommentare

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  • HM
    Heinrich Müller

    Sehr geehrter Herr Feddersen,

     

    zu Ihrem ausgezeichneten Artikel habe ich nur eine Anmerkung: Ich bin bei weitem nicht so optimistisch wie Sie, was die weitere Entwicklung der USA angeht. Die Plutokraten lassen sich von keinem Präsidenten aus dem Sattel werfen, und gewisse Konservativen und Reaktionäre schäumen vermutlich vor Wut. Letztlich regieren die wirtschaftlich Mächtigen, die auch die Medien besitzen. Gegen diese Leute geht (fast) nichts.

    Zum Schluss noch ein Hinweis: Es kann ja auch einfach ein Druckfehler sein, aber es heißt nicht "en passent", sondern "en passant".

     

    Mit freundlichen Grüßen

  • A
    anke

    Was Walter Benjamin vor 80 Jahren beobachtet zu haben meinte, könnte etwas völlig anderes gewesen sein als ein Gemütszustand. Eine "Weisheit aus dem Bauch" nämlich, ein unbewusstes Reagieren auf noch nicht wirklich rational verarbeitete Erfahrungen.

     

    Es wird immer nur der für Gerechtigkeit eintreten, der sich (oder andere) ungerecht behandelt glaubt. Wer gesiegt hat, will in aller Regel auch Sieger bleiben – und pfeift von da an auf die Gleichheit. Eine Linke also, der das Siegen nicht über alles geht, ist womöglich die einzige Linke, die das Linkssein liebt – und das Ungerechtbehandeltwerden als Motivation benötigt. Der weise Schluss des Philosophen könnte ein Trugschluss gewesen sein. Anders als eine Melancholie, hindert einen das Ungerechtbehandeltwerden nämlich keineswegs am Handeln. Im Gegenteil: Es ist eine wesentliche Voraussetzung für linkes Handeln.

     

    Kann man sich als Linker derartige Überlegungen leisten? Nein. Nicht, wenn man Berufspolitiker werden (und bleiben) will. Schließlich: Rente gibt es erst mit 67. Wer schon lange vorher die eigene Verzichtbarkeit betreibt, der bekommt womöglich ein Finanzproblem. Es sei denn, er freundet sich rechtzeitig mit einem großen Energiekonzern an.

     

    Die Welt bleibt immer unfertig, das ist wohl wahr. Wer wirklch handeln will, der braucht allerdings noch sehr viel mehr als nur diese Einsicht.