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Kolumne ParallelgesellschaftMit Tacitus gegen die Türken?

Jan Feddersen
Kolumne
von Jan Feddersen

Eine Frau aus gutem Hause möchte ihre Kinder mit toten Sprachen gegen das Leben der anderen immunisieren.

M ir wollten Majas Worte nicht aus dem Kopf: All die neuen Schulformen seien ja schön und gut, aber ihre Kinder dürften nicht leiden, wenn der Plebs, mit dem diese dann in einer Schule ihren Alltag fristen müssten, partout keine altsprachlichen Bedürfnisse hegte und also kein Latein angeboten würde. Sie, meine alte Freundin aus Grohnder und Gorlebener Tagen, spricht dieses Wort aus, als sei er ein Geheimschlüssel für Glück und Zukunft: Latein. Aber nur pars pro toto.

Bitte, heischt sie, versteh mich doch. Nichts gegen Gesamtschulen, aber Latein und vielleicht auch noch Griechisch … Da werde die Lektüre von Cicero erst recht gründlich geraten, mit Sinn für Basales und Begründetes. Ich schaute sie an, gute Mutter, blondierte Kumpanin. Du willst mir einreden, dass all die neuen Schulformen unseren Nachwuchs daran hinderten, als Kluge ins erwachsene Leben zu gehen? Ich hätte sagen können: Die schwarz-grüne Schulpolitik in Hamburg oder im Saarland ist das erste Argument, mal wieder die Grünen zu wählen.

Stattdessen meinte ich, Maja, Tochter aus feinstem Hause, um dich geht es nicht. Nicht um deine Fantasterei, lieber eine Gelehrte als eine Drogenexpertin geworden zu sein. Es geht um Schule, um Lust und Last des Lernens. Warum bietet man den Kindern nicht viel mehr Sprachen an - neben dem Englischen, dem Französischen und Spanischen auch Türkisch, Arabisch, Schwedisch und Tschechisch - überhaupt alle mündlich-systematisierten Verständigungsformen, die es in Europa so gibt, gern auch Chinesisch? Als, nun ja, conditio sine qua non echter Weltläufigkeit? Als globales Edukationsmovens sui generis, hmmh?

Bild: taz

Jan Feddersen ist Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.

Maja schnappt nach Luft, das hat nichts mit ihrem leichten Asthma zu tun. Ja, aber, aber, aber … "Aber" sagen diese Töchter höher alternativen Bewusstseins immer, wenn ihnen zu Vorschlägen anderer nur Mäkelhaftes einfallen wird. Aber sei es nicht wichtig, dass auch sie, die doch ihre Kinder nicht zum Experimentiermaterial egalisierender Schulreformen machen lassen möchte, beruhigt wird?

Aber, liebe Maja, könnte es nicht auch schön sein, wenn deine Kinder in Schulen gehen, an denen diese gewisse Hochnäsigkeit der arrivierten Stände an der munteren Praxis des gemeinsamen Unterrichts aller Schichten und Kulturen zerschellt? Dass es gerade für ihre Kinder hübsch wäre, mal andere Welten kennenzulernen?

Sie gibt nicht nach, sie will ihre Welt, also nicht meinen Weltvorschlag. Latein, setzt sie nach, ist wichtig, ein kostbares Angebot, versehen mit dem Fluidum der Exzellenzverheißung und der Dignität höherer Weihen? Aber könnte sie sich vorstellen, dass an der Schule ihrer Kinder auch Sprösslinge arabischer, exjugoslawischer und türkischer Provenienz sitzen?

Grübelnd streift sie ihre Mohairstrickjacke glatt, ihr Antlitz im Licht der schönen Bar, die wir besuchen, leuchtet geschmackvoll matt, kein Puderstäubchen stört ihre Anmut von ayurvedischer Natürlichkeit, und sagt: Ja, das muss man dann wohl ertragen.

Aber dächte ich auch daran, dass diese Kinder, die ihren Kindern das Wasser reichen wollen, auch hernach mit zum Cellounterricht gehen, zum Reiten und zum Kirchenchor? Ich suche sie zu beruhigen, lege meine Hand auf ihren Arm und sage: Maja, keine Angst, da seid ihr dann ganz wieder unter euch. Die anderen haben bestimmt das ihre zu tun, um das Lateinische zu verdauen. Könnte sein, dass deine Kinder über allen Tacitus-Übungen das andere, das ganz andere Leben verführerisch finden. Sie blinzelt mich an: "Das ist es doch!"

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

2 Kommentare

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  • DP
    Daniel Preissler

    "wenn der Plebs (...) partout kein Latein angeboten würde", so müsste die bourgeoise Pseudo-Nobilität desselben Grammatik auch nicht besser beherrschen als diese (erstere), um sich statussymbolisch von ihr abzuheben.

    Gerade Cicero war übrigens als/obwohl/weil homo novus besonders anti-plebeisch, also eher elitär (politisch: optimatisch) eingestellt. Fragen Sie, Herr Feddersen, Ihre Bekannte doch mal, welche Berufe ihre Vorfahren hatten. Das wäre mal interessant.

    Der unerwartet auftretende Rassismus bei bildungsbürgerlichen Eltern, sobald es um die eigenen Kinder geht, ist zwar nicht neu, aber doch immer wieder bedauerlich (es sind also nicht nur "die Türken", die sich nicht integrieren wollen oder können).

    Grüße

  • A
    anke

    Ja, es kann wohl tatsächlich verführerisch sein, das Leben ohne Tacitus und Aristoteles. Das Verführerische ist dem Anderen immanent, sui generis sozusagen. Ich finde, das muss auch so bleiben. Was wäre unser Leben sonst für ein Leben?

     

    Der gute alte Aristoteles soll sich, liest man, mal die Frage gestellt haben, was denn das ergon des Menschen sei. Weit ist er angeblich nicht gekommen. Der gescheiterte Versuch ist als Pars-pro-toto-Fehlschluss in die Philosophiegeschichte eingegangen, heißt es. (Da kann man mal sehen, wie taz lesen bildet!) Sie sollten also nicht zu streng mit ihrer alten Freundin ins Gericht gehen, Herr Feddersen. Mit den meisten Menschen auf dieser Welt teilt sie Sie das (kaum als solches wahrnehmbare) Handicap, kein Aristoteles zu sein. Und wenn selbst der alte A. die Frage nach der spezifisch menschlichen Fähigkeit (und Pflicht) nicht beantworten konnte, wie soll dann ihre vermutlich brutalstmöglich gebildete aber logisch leider etwas minderbemittelte Bekannte es schaffen?

     

    Sie und ich wissen: Es ist keine sine qua non (notwendige Bedingung) für ein gelungenes Leben, tote Sprachen zu sprechen. Sein Gutsein kann der Mensch auch anders definieren und äußern. Wer aber nie gelernt hat, selbst zu denken, der muss weitergeben, was man ihm eingetrichtert hat, und sei es ihm auch noch so zuwider. Alles ist besser als gar nichts, richtig? Und wenn das eingebläute nun einmal die Behauptung ist, das Lateinische als solches sei nicht nur wichtig und kostbar, es sei auch Exzellenzverheißung und höhere Weihe in einem, dann muss es wohl auch in der nächsten Generation dabei bleiben. Und in der drauf. Und in der überübernächsten. (Diesen Zwang nennt man Stabilität, glaube ich.) Schon damit wir beide Aristoteles und seine resignierte Folgerung nicht aus dem Auge verlieren, die Vernunft sei zwar womöglich nicht das ergon des Menschen, aber immerhin zu seinem Besten.

     

    Sehen Sie es doch mal so, Herr Feddersen: Ihre Freundin ist offenbar der Beleg dafür, dass man nicht nur das Einzelne (Latein) für ein Ganzes (bürgerliche Bildung) nehmen kann, sie zeigt auch, dass es (das theoretisch vorhergesagte)Gegenstück zum pars-pro-toto gibt. Ihre Freundin, Herr Feddersen, ist wohl leider toto pro tarte. Sie steht wohl stellvertretend für eine ganze gesellschaftliche Gruppe. Für die Gruppe derer, die diese unsere Gesellschaft prägen. Es hilft den Mitgliedern dieser Gruppe nicht, sechs Jahre lang ein Altgriechisch- oder Lateinlehrbuch zur Schule und zurück geschleppt zu haben. Sie können einfach nicht begreifen kann, worum es Typen wie Aristoteles gegangen ist. In solchen Fällen hilft auch eine perfekte Übersetzung wenig. Denn merke: Die Lektüre von Cicero garantiert noch keineswegs einen "Sinn für Basales und Begründetes". In den bestimmeren Fällen begründet sie lediglich eine basale Abneigung gegen die Römer im allgemeinen und deren Politik im speziellen. Gut ist das sicher nicht. Aber verführerisch.