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Kolumne OverseasDer Papst im Yankeeland

Der heilige Vater kommt nach Washington, D. C., und jeder will hin. Wie gut, dass es Menschen gibt, die Glück haben.

Bild: taz

Adrienne Woltersorf ist USA-Korrespondentin der taz mit Sitz in Washington.

Ich bin auserwählt. Was für ein saumäßiges Glück ich offensichtlich habe, leuchtet mir erst ein, nachdem ich neulich eine riesige Menschenschlange auf dem Weg hinauf zum Washingtoner Kathedralenberg sehe. Was machen diese verrückten Amis wieder, dass sie mit Notenblättern auf der Straße herumsitzen? Einige sind sogar von weit her angereist, manche trällern, andere gackern aufgeregt, und alle warten auf ihre Chance. Über 500 sind es, die nervös vorsingen wollen. Während die einen noch bibbern, kommen die anderen schon wieder heulend raus aus dem Kathedralenkeller. Ist da etwa Mel Gibson drinne, der mal wieder Statisten sucht, etwa für die Hollywood-Version der altaramäischen Apokalypse? Dann fällt mir ein, dass diese Goldkehlchen sicher auf einen Platz an der Sonne hoffen. Nämlich im Papst-Chor, der gerade zusammengecastet wird. Denn hier wird im April der Heilige Vater erwartet. No big deal, dachte ich letzten Monat, als ich um eine Presseakkreditierung bat. Aber, oh Herr, welche Einfalt!

Seit Wochen ist bei genauem Hinhören in den amerikanischen Weiten ein Heulen und Zähneklappern zu vernehmen. Da werden offene Beine vorgezeigt, Lahme vorgeführt, Blinde beklagt und herzerweichende Lebenskatastrophen geschildert. Schließlich will jeder Katholik ein Ticket zum Pope. Und obwohl in Montana oder Wyoming noch schön viel freie Prärie und damit Platz für alle Gebeutelten übrig wäre, will Gevatter Ratzinger partout nicht unter Gottes großem Himmelszelt predigen, sondern nur in zwei Baseballstadien an der Ostküste. Das eine ist das legendäre Yankee Stadium in New York, das andere das Nationals Stadium hier in Steinwurfweite von meinem Apartment. Es gebe insgesamt nur 100.000 Tickets, heißt es von der Bischofskonferenz, die ebenfalls in Sichtweite meines Domizils in ihrem "Schrein der unbefleckten Empfängnis" sitzt. Und nur wer wirklich einen triftigen Grund hat, den Vater unbedingt sehen muss, um wieder sehend oder gehend zu werden, bekommt eins - nach ungefähr einem so übersichtlichen Verteilungssystem, wie es die US-Demokraten in ihren Primaries anwenden. Vergessen Sie also Obama! Demnächst wird hier nur noch ein Name gerufen werden: Benedikt!

Ich weiß ja nicht, was dann aus dem alten Mann wird, der jeden Nachmittag auf dem zentralen Platz Washingtons, dem Dupont-Circle, steht und ein Schild hochhält. Er scheint als einer der wenigen Sichtbaren ein Problem mit der Kirche und ihrem, ähem, jugendorientiertem Geschnacksel zu haben. Denn auf dem Schild steht: "Vatikan schützt Pädophile". Erst letzte Woche vermeldete die Bischofskonferenz erleichtert, dass Missbrauchsklagen im letzten Jahr erstmals rückläufig gewesen seien - leider bei immer höheren Entschädigungssummen. Zu dumm auch, dass US-Gerichte das Strafen nicht dem obersten Richter im Himmel überlassen wollen und die Kirchenherren doch glatt durch das Purgatorium des finanziellen Striptease schicken. Bis auf die Unterhose, so klagen die kirchlichen Vermögensverwalter, seien sie ausgezogen worden. Man habe doch nun wirklich nicht Aber psst. Amerika, das ist doch die Nation, die stets nach vorne schaut und sich nicht mit dem aufhält, was gewesen ist, oder? Genau.

Deshalb ist dann auch die Kleiderordnung das weit wichtigere Thema zum Papstbesuch als ein bisschen Geschnacksel. Schließlich muss es heute um Terroristen gehen und nicht mehr um Seminaristen. So teilte letzte Woche der FBI der Washingtoner indischen Sikh-Vereinigung mit, die gerne zum interreligiösen Dialog mit Herrn Ratzinger kommen will, dass man sie nicht reinlassen werde. Zum einen wisse man ja nicht, was sie unter ihrem Turban hätten. Zum anderen weigere sich bekanntlich der Sikh an sich, seinen zeremoniellen Krummdolch abzulegen. Ich hingegen habe wirklich Glück. Weder muss ich singen, um den Papst sehen zu dürfen. Noch verbietet mir meine Gewerkschaft, den traditionellen Journalistinnen-Krummdolch für einen Tag zu Hause zu lassen. Ja, ich bin wirklich gesegnet. Ich bin nicht einmal katholisch.

ADRIENNE WOLTERSDORF

OVERSEAS Fragen zum Papst? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN

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