Kolumne Ökosex: Guten Morgen, liebe Ministerialbeamten
Warum es jetzt auf die Verwaltung in den Ministerien ankommt und Herr Rüttgers als Coach taugt.
F rüher hatte ich nicht so dicht am Wasser gebaut. Aber mit dem Alter, den Kindern und der zunehmenden Tiefe des Lebens, da kommen schon mal die Tränen. Irgendwann, nachdem ich das amtliche BaWü-Ergebnis nochmals und nochmals geprüft hatte, verließ ich die tosende Wahlparty im Wohnzimmer, ging in die Küche und weinte.
Vor Glück und wegen der historischen Zäsur. Natürlich heulte ich vor allem wegen der solaren Effizienzrevolution, wegen Atom und dem ganzen Pipapo. Heulte beim Gedanken an die mickrigen 8 Windkraftanlagen, die im Jahre 2010 in Baden-Württemberg ans Netz gingen. Die Mappus-Regierung war durchaus erfolgreich gewesen im systematischen Verhindern von erneuerbaren Energien.
Kleines persönliches Erlebnis: Ich hatte vor Jahren in Freiburg in ein Windrad investiert und erlebt, wie Erwin Teufel alles probierte, um unsere Betriebsgenehmigung sogar noch nach der Errichtung zu kassieren. Das prägt fürs Leben. Deshalb die Tränen als Ausdruck meiner tiefen Gefühle. Kretschmann also sagt, er wolle die Erneuerbaren beschleunigen. Aber Wollen ist natürlich nicht genug. Es ist wohl eher wurscht, ob der künftige Energie- und Umweltminister grün oder rot ist. Jetzt sage ich mal was sehr Spießiges: Hauptsache, er oder sie weiß, wie ein Ministerium funktioniert und die Ministerialbeamten ticken. Diese braucht man nämlich, um all die Planungsgesetze klug zu ändern und die richtigen Programme aufzulegen.
MARTIN UNFRIED ist Autor der taz.
Wenn allerdings der Apparat eine MinisterIn auflaufen lassen will, dann geht das prima. Und von vielen beleidigten Leberwürschten sollte man erst mal ausgehen. Was war wohl gestern Morgen in den Ministerien los? Das blanke Entsetzen bei all den Beamten, die seit dem Holozän auf CDU- oder FDP-Ticket unterwegs sind. Insbesondere sind da die durchaus politisch benannten Abteilungsleiter. Die aber kann man gar nicht alle in die Frühverrentung schicken. Die müssen, und das wird schwierig, motiviert werden. Guten Morgen, liebe Ministerialbeamten! Guten Morgen, Herr Ministerpräsident!
Das wird kein Spaß im Staatsministerium, dem bisherigen CDU-Bollwerk. Winfried Kretschmann sollte unbedingt Jürgen Rüttgers als Coach engagieren. Auch der traf nach dem Wahlsieg mit seinen Leuten auf eine eingeschworene SPD-Verwaltung. Ich habe damals von Insidern gehört, dass da für lange Zeit recht wenig passierte. Das können sich Kretschmann und die Energiewende nicht erlauben. Deshalb macht er hoffentlich ein paar Oberbürgermeister zu Ministern.
Grüne und SPD haben nämlich ein paar vorzeigbare Rathauschefs, die wissen auch, was Regionalplanung und Bauleitplanung bedeutet und welche entscheidende Rolle die CDU-Bürgermeister und -Landräte bei der Energiewende spielen.
Wenn die neue Regierung schlau ist, bietet sie den Lokalfürsten eine wichtige energiepolitische Rolle an. Und dann können die 35 Landkreise und 9 Stadtkreise ihr eigenes, ordentliches Energiekonzept vorlegen. Spätestens seit Sonntag sind die Erneuerbaren auch für CDU-Leute schwer attraktiv.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt