Kolumne Nullen und Einsen: Der Aufstand gegen das Kommende
Die taz probiert ein neues internes Kommunikationstool aus. Macht es alles einfacher oder nervt es einfach nur? Die Meinungen gehen auseinander.
D er Herbst macht vieles anders bei der taz. Wir haben ein neues Haus (habt ihr mitbekommen, oder? Ein neues Haus!), in dem sich die Jalousien automatisch schließen, wenn zu viel Sonne reinscheint, in dem es aber so gut wie keine Papierkörbe gibt. Und wir probieren ein neues „zentrales Kommunikationstool“ aus. Es heißt „Riot“, was ein bisschen lustig ist im Kontext der taz-Ursprünge, aber reiner Zufall.
Riot ist ein Instant Messenger, also im Prinzip so was wie WhatsApp, IRC oder Skype. Man trifft sich in „Räumen“, wo dann themenspezifisch kommuniziert a.k.a. gechattet wird. Ein Raum für die Planung der Frauentags-taz ist genauso denkbar wie einer für Blattkritiken oder eine Tischtennis-Verabredungsgruppe. Die Idee: Weniger Mails, weniger Mehrfachabsprachen, weniger Aneinandervorbeigerede. Alle haben immer alle Infos kompakt. Schlankeres, optimierteres Arbeiten also. Schöne neue Welt.
Eine gute Idee, so in der Theorie. Nur gibt es da halt auch noch die Mitarbeiter. Und da finden Riot gar nicht alle soooooo geil. Das liegt zum Teil daran, dass die Einführung taz-typisch ein wenig verhühnert wurde (ich erspare mir Details, die Kollegen können ja hier mitlesen), und zum Teil daran, dass es etwas Neues ist.
Denn Neues macht Arbeit, egal, ob es langfristig welche einspart. Über Jahre und Jahrzehnte eingeschliffene Routinen werden geändert, das nervt, und es wird Stimmung gemacht. Schnell nach dem Start von Riot etablierte sich das nölige Narrativ, dass man jetzt „ja erst mal jeden Morgen 30 Chaträume lesen muss“ (Kurzfassung: nein, muss man nicht).
Die Sache ist ja: Egal, was man ändert, es steht immer unter besonders kritischer Beobachtung. An die meisten Umständlichkeiten des Bestehenden haben sich alle so sehr gewöhnt, dass sie nicht mal mehr auffallen. Würde jetzt jemand kommen und sagen: „Hey, wir führen ein Kommunikationstool ein, das nur im 1:1-Gespräch gut funktioniert, das eure Absprachen nicht automatisch zum späteren Nachvollziehen speichert und für das wir spezialisierte, ortsgebundene Endgeräte brauchen“ – ich bin mir sicher, die meisten Leute würden diesem Ding sehr kritisch gegenüberstehen. Dabei ist es ein Festnetztelefon.
Die Ablehnung ist zugleich verständlich, denn Menschen sind sehr verschieden. Manche empfinden zwölf ungelesene Mails in ihrem Postfach als komplette Überforderung, wieder andere sind gestresst von Telefonaten. Für einige mag Riot anstrengend sein – dass es anderen Leuten in ihrer Arbeitsstruktur hilft und sie zu mehr befähigt, wird gern übersehen. Es geht hier auch um Privilegien und Besitzstandswahrung, wie so oft.
Wenig aber hilft gegen die Skepsis, wenn die Riot-Befürworter immer nur betonen, dass damit „alles besser und einfacher“ werde. Denn natürlich ist Riot nicht für alles ideal. Wir sprechen ja auch nach wie vor miteinander, obwohl es Mails gibt. Die optimalen Einsatzgebiete für Riot, sie müssen sich erst finden. Die Papierkörbe im neuen taz-Haus übrigens auch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid