Kolumne Nullen und Einsen: Keep Calm and Look at Cat Selfies
Wenn Rechte Unsinn ins Netz schreiben, muss man doch protestieren! Muss man? Wenn sie nur Aufmerksamkeit wollen, sollte man sie verhungern lassen.
Am vergangenen Wochenende hatten irgendwelche Mittelfranken eine lustige Idee, also „lustig“ in dem Sinne, dass sie selbst das vermutlich lustig fanden. Auf der Facebook-Seite der AfD Nürnberg Süd/Schwabach wurde eine Foto-Collage veröffentlicht, zu sehen: Sophie Scholl, dazu ein Zitat (* siehe Textende) und der Satz „Sophie Scholl würde AfD wählen“.
Das ist einigermaßen bescheuert, aber es ist auch einigermaßen irrelevant. Die Facebook-Seite des Kreisverbandes hat wenige hundert Fans, die sich durch genau diesen kruden Vergleich jetzt sicherlich nicht mehr oder weniger radikalisieren.
Bloß, wie das so ist im Internet, fiel es anderen Menschen auf und sie twitterten und facebookten darüber bzw. dagegen, gegen die Instrumentalisierung Sophie Scholls durch die AfD nämlich. Mal empört, mal spöttisch, in jedem Fall couragiert, darunter waren auch „prominentere“ Personen wie Kurt Krömer, Titanic-Chefredakteur Tim Wolff, der Grüne Omid Nouripour oder Stern-Herausgeber Andreas Petzold.
Am Ende des Sonntags war „Sophie Scholl“ sogar in der Top 10 der Trending Topics im deutschen Twitterraum. Das machte das Thema dann natürlich so „bedeutsam“, dass einige Online-Medien dazu Artikel veröffentlichen, schließlich waren die Buzzwords „AfD“, „Drittes Reich“, „Twitter“ und „Shitstorm“ alle irgendwie mit drin.
Inzwischen hat die benachbarte AfD Nürnberg sich von dem Post distanziert und es gibt parteiinternes Gezänk, wer jetzt wirklich der Urheber ist. Das ändert aber nichts daran: Man spricht über die AfD. Wegen eines Gaga-Postings. Und das ist dumm. Und überflüssig.
Es ist schwierig mit dem Ringen um die öffentliche Meinung. Man kann und sollte nicht jeden Knallo-Satz, jede Grenzverletzung, jedes Verschieben von Normen und Tabus unkommentiert stehen lassen. Es ist gut und wichtig, dass mutige Leute klare Worte dagegen finden und auch die ekligen Konsequenzen aushalten (von rechten Spinnern virtuell aufs äußerste beschimpft und bedroht zu werden). Einfach, damit es nicht so wirkt, als wäre das jetzt akzeptiert. Und Soziale Medien sind durchaus ein probates Mittel der Wahl, allein wegen ihrer Geschwindigkeit.
Es gibt aber auch Fälle, wo erst durch die Reaktion Relevanz geschaffen wird. Das hier ist so einer. Zahlreiche unsinnige Tweets von Erika Steinbach gehören dazu, die Auslassungen von Akif Pirinçci und vieles mehr. Die Empörung, die Wut, der Spott über diese gezielten Provokationen erreichen dann vor allem Menschen, die man gar nicht mehr überzeugen muss. Aber sie halten die Verursacher am Leben und sorgen dafür, dass sie als irgendwie „relevant“ wahrgenommen werden, obwohl sie das gar nicht sind.
Einhörner ernähren sich von Licht, diese Menschen ernähren sich von Aufmerksamkeit. Wir sollten sie verhungern lassen. Wir sollten (gerade im Hinblick auf die kommenden Jahre) lernen, unsere Aufmerksamkeit lieber wichtigen Dingen zu widmen. Unseren Freunden etwa, Selfies von Katzen oder dem ewigen Krieg um die Arenen in Pokémon Go. Lasst uns das bitte versuchen.
* „Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique ‚regieren‘ zu lassen.“ (Das ist übrigens nicht direkt von Sophie Scholl, sondern von einem Flugblatt der Weißen Rose)
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