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Kolumne NüchternDie Scham der Anderen

Wer mit dem Rauchen aufhört, wird gelobt. Und der Extrinker?

A ls ich kürzlich in die Apotheke ging, um ein Erkältungsbad zu kaufen, kam ich mit der Pharmazeutin ins Gespräch. Die halbe Stadt werde von dieser Grippewelle lahmgelegt, sagte sie. Und ich erzählte, dass ich den Infekt schon seit Wochen mit mir herumtrage.

Im vergangenen Winter, als ich ein halbes Jahr nicht rauchte, war ich nicht erkältet. Gerade würde ich wieder versuchen, aufzuhören. Sie brauchte auch mehrere Anläufe, um sich von den Zigaretten zu trennen. Vor drei Jahren habe sie es endlich geschafft. „Toi, toi, toi. Man ist da ja wie ein trockener Alkoholiker“, meinte sie und kicherte ein bisschen, halb erschrocken über das, was sie gerade gesagt hatte.

Kurz war ich irritiert. Nicht, dass mich der Vergleich gestört hätte. Ich denke auch, dass Ex-Raucher und Ex-Trinker vieles gemeinsam haben, nicht zuletzt das Wissen, dass sie eine Zigarette oder ein Glas wieder in die Abhängigkeit katapultieren würde.

Ein großer sozialer Fall

Aber während wir dem ehemaligen Raucher im Allgemeinen positiv gegenüberstehen, ihm zu seinem neuen, nikotinfreien Leben gratulieren, wird dem ehemaligen Trinker oft eine verschämte Form von Mitleid oder Ablehnung entgegengebracht – ganz so, als hätte er einen großen sozialen Fall hingelegt und als wäre er von einem grauenhaften Leiden befallen worden, das ihn nun von dem ausschließt, was eigentlich Spaß macht.

DANIEL SCHREIBER

lebt in Berlin. Er ist Autor der Biografie „Susan Sontag. Geist und Glamour“.

Viele Leser haben meinen Text in der taz vom 27. Dezember online kommentiert oder mir geschrieben. Unter ihnen waren Menschen, die ebenfalls mit dem Trinken aufgehört haben, welche, die wissen, dass das ansteht, sogar einige, die der Text davon abgehalten hat, nach einer Zeit der Nüchternheit wieder zum Glas zu greifen. Viele der Zuschriften haben mich gerührt, weil sie mich an den Schmerz erinnerten, der für mich früher zum Alltag gehörte.

Ein sehr körperliches Problem

In fast allen aber trat die Scham zutage, die gesellschaftlich mit dem Eingeständnis einhergeht, nicht mehr trinken zu können – allen medizinischen und neurobiologischen Forschungen zum Trotz, die nachweisen, dass es sich dabei nicht um ein moralisches Scheitern handelt oder eine Schwäche der Willenskraft, sondern um ein sehr körperliches Problem, genau wie Diabetes, Asthma oder Depression.

Ich kenne diese Scham, ich habe sie jahrelang verspürt: immer dann, wenn mir abends diese leise Stimme im Kopf sagte, dass ich wieder zu viel trinke. Immer, wenn ich morgens mit einem schlechten Gewissen oder, schlimmer noch, mit einem Filmriss aufwachte. Und auch immer dann, wenn ich es mal schaffte, ein, zwei Wochen ohne Alkohol auszukommen, und mir dann einredete, dass das bedeute, ich hätte kein Problem.

Ich habe mich noch lange geschämt, nachdem ich aufgehört hatte zu trinken. Es hat Monate gebraucht, bis ich unverkrampft Nein sagen konnte, wenn man mir ein Glas Wein anbot, und nicht mehr das Bedürfnis hatte, mir Gründe dafür auszudenken, dass ich keinen Alkohol trinke. Ohne diese Scham hätte ich vielleicht schon früher die unglaubliche Erleichterung verspürt, die mit der Entdeckung einhergeht, nicht mehr trinken zu müssen und dass die Zeit, in der ich noch trank, im Nachhinein viel Sinn ergibt.

Mein Leben ist nicht vorbei, es ist auch nicht mehr etwas, das ich aushalten oder meistern muss. Im Gegenteil: Heute fühle, glaube und mache ich Dinge, die ich früher nie für möglich gehalten hätte.

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Daniel Schreiber
Schreibt für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und das Radio über Literatur und Kunst. Sein Buch "Susan Sontag. Geist und Glamour", die erste umfassende Biografie über die amerikanische Intellektuelle, ist im Aufbau-Verlag und in amerikanischer Übersetzung bei Northwestern University Press erschienen. Im Herbst 2014 kommt sein neues Buch "Nüchtern. Über das Trinken und das Glück" bei Hanser Berlin heraus. Darin erzählt er seine persönliche Geschichte und macht sich über die deutsche Einstellung zum Trinken und Nicht-Trinken Gedanken. Schreiber lebt in Berlin. ( http://daniel-schreiber.org )
Daniel Schreiber
Schreibt für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und das Radio über Literatur und Kunst. Sein Buch "Susan Sontag. Geist und Glamour", die erste umfassende Biografie über die amerikanische Intellektuelle, ist im Aufbau-Verlag und in amerikanischer Übersetzung bei Northwestern University Press erschienen. Im Herbst 2014 kommt sein neues Buch "Nüchtern. Über das Trinken und das Glück" bei Hanser Berlin heraus. Darin erzählt er seine persönliche Geschichte und macht sich über die deutsche Einstellung zum Trinken und Nicht-Trinken Gedanken. Schreiber lebt in Berlin. ( http://daniel-schreiber.org )
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7 Kommentare

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  • P
    Priska

    Ich bin Gruppentherapeutin von Menschen mit Alkoholproblemen, und ich habe Ihren ersten Artikel meinen Klienten verteilt. Sie haben diese fantastische Fähigkeit all dem Worte zu geben, was soviele spüren und erleben. Danke, dass Sie dies so prägnant formulieren. Und mir gefällt Ihr gesellschaftskritischer Ansatz mindestens ebenso gut. Es ist nicht nur das rein persönliche Problem all dieser Menschen, es ist wirklich viel komplexer. Ich werde auch Ihre zweite nüchterne Kolumne weitergeben. Die gefällt mir auch sehr und eignet sich ebenso für ein Gruppengespräch!

  • UN
    Uli Nordmann

    Lieber Daniel, beide Teile der Kolumne sprechen mir aus der Seele. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie so gar nicht spektakulär und nicht auf Wirkung abzielend, so einfach "von der Seele runter" geschrieben wurde. Das war sehr gut. Meine Tochter Julia aus New York machte mich auf die Kolumne aufmerksam. Da ich seit 24 Jahren abstinent lebe, konnte ich mich mit dem Text schnell anfreunden. LG Uli Nordmann

  • M
    miri

    Ich trinke keinen Alkohol, weil ich mir's nie angewöhnt habe -- Bier schmeckte nicht, Wein war sauer, und so nahm ich auch keinen Alk zu mir und bin auch ganz davon ab, es zu versuchen. Das wurde im Freundeskreis begrüßt, weil ich so nach jeder Party immer alle nach Hause fahren konnte :-) Unter Fremden gibts aber, wenn ich um leckeren Fruchtsaft bitte, oft den Blick: Naa, sagt die wohl die Wahrheit oder war sie mal Alkoholikerin? Inzwischen aber gibts in meinem Freundes- und Kollegenkreis viele MuslimInnen, die wie ich einfach so keinen Alk trinken, und das entspannt die Lage ungemein. Ich beobachte das in vielen gesellschftlichen Bereichen. Vielleicht brechen die Muslime diese gesellschaftliche Norm "Alk gehört dazu!" endlich überall auf. Das wär doch was.

  • S
    Stag

    Ich trinke seit sechs Jahren überhaupt keinen Alkohol, einfach nur deshalb, weil es irgendwann leckeres alkoholfreies Bier gab und ich nie andere Alkoholgetränke gemocht habe. Ich bin in Gesprächen eher offensiv und schaue denjenigen verwundert an, der überzeugt ist, dass gelegentliche Rauschzustände der allgemeinen Lebensqualität zuträglich sind. Sie haben alle ein schlechtes Gewissen, weil ihnen klar ist, dass sie selbst viel zu viel schlucken. Nur wer regelmäßig Alk tringt, verträgt ihn ja überhaupt: Alkohol ist ein Gift. Punkt. Jeder Rausch ist eine Vergiftung, die zu schweren Persönlichkeitsveränderungen führt. Daher halte ich auch den Alkohol für viel gefährlicher als das Rauchen. Rauchen tötet nur den Konsumenten. Fragen Sie mal Menschen, deren Eltern Alkoholiker waren.

  • W
    werny

    Derlei Berichte über nüchterne Befindlichkeiten sind leider viel zu selten zu finden. "Sprung ins Trockene" und die Kolumne tragen sicher dazu bei, das Verständnis für unsereins zu erhöhen, dafür vielen Dank!

     

    werny

    15 Jahre "ohne", und das ist auch gut so

  • D
    daswois

    Hei

    Dat mit den Ausreden ist gar nicht schlimm, da kommt man mit der Zeit auf einige Sachen die es einfacher und einleuchtender machen. So macht man sich einen Standpunkt eher zu eigen. Kann unterhaltsam sein und Abwechslungsreich.

    Vordefiniertes gesülze kann eine Abkürzung sein, meiste ist aber Volksverdummung. Kein Schmierstoff brauchen, keine Hirnzellen abmurksen wollen etc. ist ein Sport für sich.

    Let`s Face it, the grass isn`t greener anywhere else.

  • A
    aujau

    Als Person, die in einer von Alkoholsucht geprägten Familie aufwachsen musste, beglückwünsche ich Sie zur Abstinenz.

    Die verdrucksten Reaktionen rühren von einem allgemein gestörten Verhältnis zu Drogen und deren Funktion in dieser Gesellschaft her. Das einzig "Normsetzende" an ihnen ist, dass sie so weit verbreitet sind.

    Souverän und glücklich sind die Menschen deshalb noch lange nicht.