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Kolumne NüchternSpaßbremse oder Fanatiker?

Daniel Schreiber
Kolumne
von Daniel Schreiber

Alle Jahre wieder folgt der Ruf nach einem kollektiven Dauerrausch. Kein Grund, die Feiertage nicht doch nüchtern zu verbringen.

Kein Alkohol an Feiertagen? Dafür sollte man besser einen triftigen Grund haben, sonst droht der Spaßbremsen-Stempel. Bild: dpa

E s hat sicherlich seinen anthropologischen Sinn, dass wir die Weihnachtszeit in Deutschland als einen institutionalisierten Dauerrausch aus Rumrosinen, Glühweinexzessen und Festtagschampagner begehen.

Der eine oder andere philosophierende Kulturtheoretiker hat bestimmt schon einen Aufsatz über das Trinken im Advent als einen gesellschaftlich geradezu überlebenswichtigen Unterbrechungsritus geschrieben. Egal natürlich, wie schnell darauf die ebenso anstrengenden, kollektiven Selbstverbesserungsversuche folgen und die nächste Gibt-es-Burnout-wirklich?-Gesellschaftsdebatte.

Was die schönste Zeit des Jahres für den nichttrinkenden Menschen zu einer oft unschönen Zeit macht, ist der Umstand, dass er sich im Dezember noch mehr gegen allen möglichen Unsinn wappnen muss als sonst.

Denn wer nicht einmal zu dieser Zeit des Jahres trinkt, begeht in Deutschland, ob auf der Weihnachtsfeier im Büro, beim Adventskaffeetrinken des befreundeten Paares oder beim Familienbesuch unterm Weihnachtsbaum ein Sakrileg. Er verstößt, ob er es will oder nicht, gegen ein ungeschriebenes Gesetz und fühlt sich häufig so, als hätte er Baby-Jesus persönlich zum Kreuz geschickt. Die Leute wollen es sich schön machen zu dieser Zeit des Jahres, und das geht bekanntlich nur, wenn ALLE trinken.

Angewiderte Betroffenheit

Die Vorurteile, die einem als Nichttrinker entgegenschlagen, variieren von Milieu zu Milieu. Sie reichen von einer mild angewiderten Betroffenheit über den leidenschaftlich zum Ausdruck gebrachten Verdacht, es hier mit einem jener schlimmen Gesundheitsfanatiker zu tun zu haben, bis zum relativ brutalen, aber oft nicht einmal unsympathischen Aufruf, doch nicht so eine Spaßbremse zu sein.

Was dabei mitschwingt, ist natürlich immer die Angst, von den nüchternen Zeugen für das eigene Rauschverhalten verurteilt zu werden. Aber das würde niemand zugeben.

Deswegen muss man sich als nicht trinkender Mensch daran gewöhnen, dass man oft aufgefordert wird, man solle doch hier den moralischen Zeigefinger nicht erheben – auch wenn man nur sagt, „Nein, danke. Ich nehme ein Mineralwasser.“

Es ist Menschen schwer zu vermitteln, dass man nicht mehr trinkt, weil es wirklich schmerzhaft war, zu viel zu trinken, und weil man irgendwann wusste, dass man den Schritt von der schlechten Gewohnheit zur Abhängigkeit schon lange gemacht hatte, und zwar ohne es auch nur zu bemerken

Ich kann nur schwer erklären, wie depressiv ich war, wie unglücklich und soziopathisch ich mich fühlte, wie viel Schuldgefühle ich hatte, wie sehr mich die Gewissheit begleitete, dass mir mein Leben entglitt, obwohl von außen gesehen alles in Ordnung schien. Ich kann es nur schwer beschreiben, wie es sich anfühlt, innerlich tot zu sein.

Recht auf Feiertagsrausch

Ich möchte niemanden das Recht auf den Feiertagsrausch nehmen, auch nicht das auf die eigene Selbstzerstörung. Ich habe an dieser Stelle schon oft erwähnt, dass es mir völlig egal ist, ob und wie viel Leute trinken, auch dass ich nichts von Verboten halte und dass, solange man es noch kann, jeder selbst entscheiden muss, wie viel Alkohol sein Leben verträgt.

Doch ich glaube, dass die meisten Leute diese Entscheidung uninformiert treffen. Die meisten Leute wissen nicht, dass jeder schlimme Trinker einmal ein glücklicher Trinker war, dass „ein bisschen abhängig“ zu sein so etwas ist wie sich „ein bisschen schwanger“ zu fühlen.

Und die meisten Leute wissen auch nicht, was Abhängigkeit aus dem eigenen Leben macht, wie schleichend sie jedes Vertrauen zersetzt, wie nachhaltig sie Beziehungen und Familien in Gefängnisse aus Angst und ohnmächtiger Wut verwandeln kann.

Zum Autor

Daniel Schreiber lebt in Berlin. Er ist Autor der Biografie „Susan Sontag. Geist und Glamour“.

Gerade zu Weihnachten mag niemand über Alkoholismus nachdenken. Als eine konkrete Krankheit, in deren desaströse Flugschneise jeder von uns geraten kann. Dabei wäre es die beste Zeit dafür. Frohes Fest!

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Daniel Schreiber
Schreibt für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und das Radio über Literatur und Kunst. Sein Buch "Susan Sontag. Geist und Glamour", die erste umfassende Biografie über die amerikanische Intellektuelle, ist im Aufbau-Verlag und in amerikanischer Übersetzung bei Northwestern University Press erschienen. Im Herbst 2014 kommt sein neues Buch "Nüchtern. Über das Trinken und das Glück" bei Hanser Berlin heraus. Darin erzählt er seine persönliche Geschichte und macht sich über die deutsche Einstellung zum Trinken und Nicht-Trinken Gedanken. Schreiber lebt in Berlin. ( http://daniel-schreiber.org )
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4 Kommentare

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  • C
    Christoph38

    Dazu der gute alte Witz aus Two and a half men: Charlie zur Therapeutin "Ich trinke nur zum Mittagessen mal ein Gläschen. - "Und wie viele 'Mittagessen' hatten sie heute schon?" - "Vier".

     

    Oder mit Stuckrad-Barre gesagt: Man sieht erst, wie fantastisch viel überall und immer gesoffen wird, wenn man selber nicht mehr trinkt.

     

    Ich kann aus meiner Erfahrung nur zustimmen, man wird geradezu aggressiv angegangen, wenn man nicht mitsäuft. Dafür mag es viele Gründe geben, ich glaube der Hauptgrund ist dass Leute sich dann unweigerlich die Frage stellen, trinke ich selber eigentlich zuviel? Allein in meinem Büro (5 personen) sitzen 3 Alkoholiker (ich eingeschlossen, aber um Trockenheit känpfend), wenn man täglichen Konsum und ein bis drei Abstürze pro Woche als Vereinsmitgliedsschafts-Vvoraussetzung wertet.

    Jedenfalls danke an Richter für diese Kolumne!

  • Lieber Daniel Schreiber,

    das Grundproblem Ihres Beitrages hier sowie Ihrer gesamten Kolumne liegt darin, dass Sie Ihre subjektiven Erfahrungen und Probleme mit Hilfe einer etwas tantig anmutenden Pädagogik, wie schon vom Mitforisten NANSY beschrieben, auf die Allgemeinheit abbilden wollen.

     

    Ihre Probleme sind aber nicht die Probleme von vielen, obwohl Sie das gerne hätten, um Ihrem eigenen Thema eine höhere gesellschaftliche Relevanzstufe zu verschaffen und damit Ihren selbstverliehenen Erziehungsauftrag zu legitimieren.

     

    Schreiben Sie weiter über Ihre Thematik, ist interessant, aber lassen Sie einfach diesen weinerlichen "denkt-doch-mal darüber-nach-und-folgt-mir-dann"-Duktus.

  • Da halte ich's mit meinem Familienmotto: "Lieber ein stadtbekannter Trinker als ein anonymer Alkoholiker".

  • N
    Nansy

    Ich hoffe doch für Herrn Schreiber, dass er, trotz aller gegenteiligen Bekundungen, zu den trinkenden Menschen gehört - denn ein Leben ohne Flüssigkeitsaufnahme ist nicht möglich!

    Ich kenne allerdings nur Weihnachtsfeiern im Büro, bei denen man zu Anfang ganz schlicht gefragt wird, was man denn trinken möchte. Ein einfaches: "Ich nehme ein Mineralwasser" genügt. Wo hier der Zwang zum Alkoholtrinken abgeleitet werden kann, ist mir nicht ganz klar.

     

    Der Autor gibt an, nichts von Verboten zu halten und dass jeder selbst entscheiden müsse, wie viel Alkohol sein Leben verträgt. Das klingt erst einmal recht tolerant und vernünftig. Diese Aussage wird allerdings gleich wieder durch die Behauptung relativiert, dass die meisten Leute diese Entscheidung uninformiert treffen. Und diese uninformierten Menschen fallen dann offensichtlich in die Kategorie "glückliche Trinker". Es gibt offenbar nicht den normalen Genuß eines Gläschen Weins ab und zu, sondern nur "glückliche" und "schlimme" Trinker!

    Das hört sich für mich mehr nach missionieren an - und zwar in dem Sinne, jemand anderem die eigene Wahrheit aufzudrängen.