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Kolumne Nebensachen aus WienUrinieren in die Hosentasche

Oder: Wie sich Wien für die Fußball-Europameisterschaft rüstet.

Bild: privat

Ralf Leonhard ist taz-Korrespondent für Österreich.

In diesen Tagen wachsen in der österreichischen Hauptstadt Wien allenthalben hölzerne Buden aus dem Straßenpflaster, wo bis Silvester heißer Punsch und Glühwein von teilweise zweifelhafter Qualität ausgeschenkt werden. Probleme mit Betrunkenen, die dem vorweihnachtlichen Traditionsgebräu zu heftig zugesprochen haben, sind selten. Auch Ursula Stenzel, die betuliche Bezirksvorsteherin der Innenstadt, hat nur Einwände ästhetischer Natur gegen die rustikalen Kioske. Ein kaltes Grauen beschleicht die konservative ÖVP-Politikerin jedoch, wenn sie an besoffene Fußballrowdies denkt, die in einem halben Jahr anlässlich der Fußball-Europameisterschaft erwartet werden.

In sportlicher Hinsicht sind die Erwartungen an die eigene Mannschaft allgemein zurückhaltend. Alles andere als ein siegloses Ausscheiden nach der ersten Runde wäre eine Sensation. Schließlich hat das Nationalteam in den letzten Monaten von elf Freundschaftsspielen nur ein einziges gewinnen können (gegen eine Zweitauswahl der Elfenbeinküste). Österreich hat sich erstmals für eine Europameisterschaft qualifizieren können, indem es das Turnier mit der Schweiz ausrichtet. Das ist ehrenvoll, schafft aber auch ein Sicherheitsproblem. So sieht es zumindest Innenminister Günther Platter (ÖVP) - wie immer, wenn zu viele Ausländer im Spiel sind. Über potenzielle Hooligans würde er am liebsten Präventivhaft verhängen. Nach Einwänden der Verfassungsrechtler fand sich eine gesetzeskonforme Lösung: Fans, die in ihren Ländern wegen Vandalismus verurteilt wurden, müssen sich vor dem Match bei der Polizei melden und werden auf dem Revier während des Spiels "belehrt".

Die Polizei sieht sich, vor allem nach den jüngsten blutigen Vorfällen in Italien, unzureichend vorbereitet - obwohl es an Gerät nicht fehlen soll. Fünf 12-sitzige und acht neunsitzige Mannschaftswagen werden bereitgestellt. 7.000 feuerfeste Overalls, 1.000 Helme, 820 Körperschlagschutz-Garnituren, 2.000 Stück Schutzkleidung für die Weichteile, 1.000 Atemschutzmasken für den Tränengaseinsatz, 4.000 Paar Einsatzhandschuhe, 1.000 Schutzschilde und Einsatzstöcke wurden bestellt. 300 Tretgitter sollen der Eindämmung der Randale dienen.

Dennoch fühlen sich die Polizeibeamten von ihren Chefs im Stich gelassen, wie Personalvertreter Josef Sbrizzai formulierte. Vor allem, was die 300 Bullen aus den Bundesländern betrifft, die zur Verstärkung in die Bundeshauptstadt abkommandiert werden: "Die Versorgung, die Unterbringung und die Ausrüstung der Kollegen sind noch nicht so weit gediehen, dass man sa- gen kann, sie sind abgeschlossen."

Auf bis zu 100.000 werden die Fußballfans geschätzt, die sich auf der Fanmeile tummeln werden, wo rund um die Videobildschirme die Betreiber von Fress- und Saufbuden gute Geschäfte erwarten. Die Fanmeile soll ausgerechnet auf der Ringstraße zwischen Burgtor und Rathaus eingerichtet werden, also in unmittelbarer Nähe der ehemals kaiserlichen Hofburg, wo Teile der Regierung sitzen, und dem Parlament. Obwohl diese Fläche nur etwa halb so groß ist wie das entsprechende Areal im vergangenen Jahr während der Weltmeisterschaft in Berlin, ist das Verkehrschaos an den Spielabenden programmiert. Das Burgtheater zieht wegen zu erwartenden Lärmbelästigungen aus und geht für die Dauer der EM auf Tournee durch die Bundesländer.

Ursula Stenzel fürchtet aber vor allem um die Parks und prunkvollen Gartenanlagen im Einzugsbereich der Fanmeile. Obwohl ausreichend Mobilklos aufgestellt werden sollen, muss man damit rechnen, dass Hektoliter biergeschwängerten Urins auf die Grünflächen niederregnen werden.

Die Kurier-Kolumnistin Doris Knecht hat gehört, dass Taschenurinale namens "Roadbag" verteilt werden sollen: "Die Idee von biervollen Fußballfans, die mitten im Gedränge ihre Nudel aus der Hose ziehen und in ein Sackerl zielen, macht mich nicht froh." Sie sorgt sich vor allem um die nachhaltige Wirkung des Fußballspektakels, nämlich dass das öffentliche Urinieren in kleine Gefäße "zu einer sozial akzeptierten Kulturtechnik werden könnte".

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