Kolumne Navigationshilfe: Dummes Backpacker-Bashing
Über Backpacker spotten geht immer. Sie können es keinem Recht machen und werden kritisiert. Warum eigentlich fragt unsere Autorin.
E s ist nicht hip, Backpacker zu mögen. Zu viel und zu leicht lässt sich über sie spotten: über ihre Selbstdarstellerei, das Elitäre, ihre Pseudoweltgewandtheit und ihre Naivität. Aber wer nur Häme äußert, macht es sich zu einfach. Sie sind sprachgewandt, sozial engagiert, empathisch für Fremdes und oft der Leistungsgesellschaft überdrüssig. Wirtschaftliche und kulturelle Kritik haben sie gelernt, auch und gerade wegen all dem, was sie auf Reisen gesehen haben. Und, ja, sie gehen auf Reisen auch feiern und haben Spaß. Gut so!
Über Backpacker spotten geht immer. Aber ist es wirklich verachtenswert, wenn sich junge Leute für eine andere Kultur und Bevölkerung interessieren? Dass sie wandern statt Auto fahren, auf der Farm arbeiten statt all inclusive reisen? Eine nicht unwesentliche Zahl von Umweltprojekten, Waisenhäusern und entlegenen Grundschulen würde nicht funktionieren ohne die internationalen Traveller. Natürlich sind viele auch vor Ort, weil sie die zuckerweißen Strände toll finden und ihren Instagram-Account damit bestücken oder weil sie Schildkrötenbabys süß finden. Na, finden Sie Schildkrötenbabys nicht süß?
Junge Leute können beim Reisen natürlich gar nichts richtig machen. Bleiben sie daheim, sind sie Dorftrottel ohne Horizont. Reisen sie weg (wie die Generationen vor ihnen), sind sie konsumgeil und haben kein Umweltbewusstsein (dass die Elterngeneration zweimal im Jahr in den Urlaub fliegt – na ja, was soll’s). Arbeiten sie im Ausland, sind sie arrogante White Saviour Barbies.
Es ist wahr, backpacken ist ein Privileg westeuropäischer Wohlstandskinder. Dennoch stimmte das nie so wenig wie heute. Mit Couchsurfing kamen zu mir: Zwei Libanesinnen, von denen eine später in Maastricht studierte und die andere nach England zog und dort heiratete. Ein Japaner, ein Argentinier, eine Mexikanerin, eine Weißrussin. Oft waren es die Ersten in ihrer Familie, die in die Welt zogen. Leute wie das kolumbianische Pärchen, das den südamerikanischen Kontinent bereiste und dies mit Straßenmusik finanzierte. Ja, reisen ist weiterhin ein elitäres Privileg. Aber es wird besser.
Niemand muss darüber vergessen: Reisen ist und war immer vorwiegend Ausbeutung. Früher diente es vor allem dazu, Sklaven zu holen, Völker zu unterwerfen und Ressourcen zu plündern. In unserem heutigen System braucht es das nicht mehr, denn die Weltwirtschaft ist sklavisch organisiert ganz ohne offizielle Sklaven.
Die reichen Backpacker profitieren davon. Aber sie haben das System nicht erfunden. Sie sind nur dessen Folge: Kinder, denen es so gut geht, dass sie sich nach Einfachheit, Gemeinschaft und Alternativen sehnen. Und sie vielleicht bekommen. Und vielleicht daraus lernen. Es gibt Besseres. Und Schlimmeres.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr