Kolumne Nachbarn: Der Tod ist ein Dummkopf

Der Freund war immer mutig gewesen: im Kugelhagel der syrischen Regierungstruppen, im Gefängnis Assads und im stürmischen Meer.

Mensch vor Brandung

„Du ranntest ins Meer und warfst dich in die Wellen: ‚Tod, komm nur näher; ich bring dich um.‘“ Foto: dpa

Für uns beide bedeutete das Fortgehen eines: den Tod. Als ich Damaskus verließ, drehte ich mich um und fragte mich: Bin ich nun tot, ohne es bemerkt zu haben? Vor fast sechs Jahren sagtest du zu mir, wenn ich vom Tod sprach: „Der Tod ist ein Dummkopf. Er unterscheidet nicht einmal zwischen Utopie und Realität. Erwähne ihn nicht ständig, damit er sich nicht an uns erinnert.“ Ich sagte dir: „Ich fürchte den Tod nicht. Denn ich habe mich mit ihm angefreundet.“

Eines Tages sagte der Tod zu mir: „Ich warne dich davor, einen engeren Freund als mich zu haben. Tust du es trotzdem, nehme ich ihn dir weg.“ Ich erzählte es dir und sagte, der Tod hält Wort, er hat mir alle liebsten Freunde genommen. Du sagtest: „Bleib einfach in meiner Nähe; ich werde den Tod von dir und mir abwenden.“ Dies geschah an dem Tag, an dem wir nur knapp den Kugeln der Sicherheitskräfte entkamen.

Nach jenem Vorfall versuchtest du mir stets zu beweisen, dass der Arm des Todes kurz sei. Du sagtest, alle Versuche des Todes, dich zu fassen, seien vergeblich. Und es ist wahr, dass du uns immer wieder vor dem Tod gerettet hast.

Verhaftung in Damaskus

Einmal suchten wir Zuflucht in einer Küstenstadt. Am Strand wolltest du mir ein Geheimnis verraten. Ich war gespannt, und ich hörte nicht mehr auf zu lachen, als du mir ins Ohr flüstertest, du könntest dem Meer nicht mehr vertrauen und hättest Furcht, darin zu ertrinken. Zeit meines Lebens hatte ich kaum einen Mutigeren als dich gekannt.

Ich fragte dich: „Wie kann es sein, dass du Angst vor dem blauen Meer hast, während du behauptest, du würdest den Tod besiegen.“ Daraufhin ranntest du aus Eitelkeit ins Meer und warfst dich schreiend in die Wellen: „Tod, komm nur näher; ich bring dich um.“ Ich sorgte mich um dich und rief dir nach: „Bleib stehen. Du Verrückter, komm zurück bitte; das war doch nicht ernst gemeint.“ Als du zurückkamst, sagtest du: „Habe ich dir nicht gesagt, dass der Arm des Todes kurz ist?“

Drei Tage nach unserer Rückkehr nach Damaskus wurden wir verhaftet. Deine letzten Worte, bevor sie uns trennten, waren: „Fürchte nichts. Der Arm des Todes ist kurz.“ Vor fünf Jahren und neun Monaten wurden wir festgenommen. Ich kam nach kurzer Zeit wieder frei, du bliebst in Haft. Vor wenigen Tagen erfuhr ich, dass der Arm des Todes dich in deiner Zelle erreicht hat.

Man kondolierte mir zu deinem Tod. Wie unsinnig! Sie kennen weder dich noch den Tod. Wusste die Kondolenzgesellschaft etwa nicht, dass ihr, du und der Tod, Gegenspieler seid? Der Arm des Todes wird die Höhe deines Mutes nicht erreichen, bevor dir das Leben gibt, was du verdienst.

Für meinen Freund Rami Alhenawi / Aus dem Arabischen von Mustafa Al-Slaiman

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Kefah Ali Deeb wurde 1982 in Latakia, Syrien, geboren und ist 2014 nach Berlin geflohen. Sie ist bildende Künstlerin, Aktivistin und Kinderbuchautorin, außerdem Mitglied des National Coordination Committee for Democratic Change in Syrien.  

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