Kolumne Nachbarn: Wenn es keine Worte mehr gibt

Wie über das schreiben, worüber man schreiben muss, wenn der Schrecken zu groß wird? Das fragt sich eine Syrerin, der das Unheil im Nacken sitzt.

Rauchwolken steigen aus einer Landschaft hoch

Der Krieg ist in Ost-Ghouta stets präsent Foto: reuters

Seit drei Wochen versuche ich, diesen Artikel zu schreiben. Zuerst wollte ich über Kälte, Wärme und Liebe schreiben. Wie aber soll ich über derartige Themen schreiben, wenn meine Familie im syrischen Afrin Zielscheibe von türkischen Bombern und Erdoğans Söldnern ist?

Ich hatte gerade damit begonnen, über Afrin zu schreiben, als die Angriffe des syrischen Regimes und seiner Verbündeten auf Ost-Ghouta begannen. Nachrichten und soziale Medien sind voller Bilder von Massakern und von Zerstörung. Worüber soll ich nun schrei­ben? Ich bin eine Syrerin, der das Unheil im Nacken sitzt. Fassungslosigkeit befällt die Mitarbeiter der internationalen Unesco-Organisation, weil sie nicht mehr wissen, wie sie das Ausmaß der Katastrophe in Worte fassen sollen. Das ist wohl der Grund, warum sie sich auf eine einzeilige Verurteilung beschränkt haben.

Irgendwann habe ich mich entschieden, über einen Mann zu schreiben, der seine Frau niedergestochen hat, und über seinen traumatisierten Sohn. An diesem Tag konnte ich nicht schlafen. Wer wird den Sohn in den Arm nehmen und ihn davon überzeugen, dass das Leben doch nicht so schlecht ist? Er war dabei, als sein Vater seine Mutter tötete. Das Entsetzen, das sich in den Augen des Kindes abzeichnet, hindert mich am Schreiben.

Mein Traum

In einem Telefongespräch mit meiner Freundin in Damaskus erzählte ich ihr, dass ich einen Artikel schreiben muss und nicht weiß, welches Thema ich wählen soll. Ohne zu zögern schlug sie mir vor, dass ich über den Traum schreiben sollte, durch den ich an diesem Morgen wach wurde und von dem ich ihr zuvor erzählt hatte.

Eine gute Idee! Mich packte der Eifer. Sobald das Gespräch zu Ende war, setzte ich mich an meinen Computer, um meinen Traum niederzuschreiben. Ich träumte von einem Haus. Ein großes, schönes Haus. Ich trug es auf meinem Rücken, der gekrümmt war, während ich in den Straßen von Damaskus umherlief. Die Gebäude um mich herum waren zerstört. Zwischen den Trümmern fand ich ein sauberes Plätzchen, wo ich mein Haus absetzte. Plötzlich hörte ich auf zu schreiben. Die Bilder der Zerstörung in meiner Erinnerung schluckten all meine Gedanken und den restlichen Traum.

Dann reiste eine Delegation der AfD nach Syrien. In den Straßen von Damaskus, die ich so sehr liebe und die mir nun verwehrt sind, prüfen sie meine Stadt. Von hier aus haben sie die Nachricht vom „Frieden“ in der Diktatur verbreitet.

Es scheint mir, dass meine Wut über das, was passiert ist, am besten durch eine Erklärung komplett ohne Worte ausgedrückt werden kann. Denn nach jeder schrecklichen Nachricht fand ich mich in einem leeren, kalten und abgedunkelten Zimmer wieder, schreiend – mit einem Echo, das hallte: Es reicht!

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Kefah Ali Deeb wurde 1982 in Latakia, Syrien, geboren und ist 2014 nach Berlin geflohen. Sie ist bildende Künstlerin, Aktivistin und Kinderbuchautorin, außerdem Mitglied des National Coordination Committee for Democratic Change in Syrien.  

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