Kolumne Mittelalter: Einmal eine neue Gegenwart, bitte!
Wer darf warum nicht wählen? Was machen wir mit all diesen tausend Identitäten? Und ist heiß duschen etwa schon Populismus?
D as hier ist nur die Kolumne einer „taz-Lusche“ – wie Besorgte Bürgerschutzstaffeln (BSS) mich nennen –, und Sie müssen sie also nicht weiter beachten. Ebenso wenig wie Sie verpflichtet sind, die mindestens 8 Millionen Menschen zu beachten, die in den USA leben und arbeiten, aber weder Clinton noch Trump wählen konnten; oder die 4.351.000 volljährigen Erwerbspersonen, die nach freundlichen Angaben des Statistischen Bundesamtes 2015 in Deutschland gearbeitet und Steuern gezahlt haben, aber nicht Merkel oder Steinmeier – nein, den ja eh nicht! – wählen werden dürfen.
„My point is“, wie Walter in „The Big Lebowski“ sagt, dass wir darüber sprechen müssen, wie wir die durchweg knappen Wahlergebnisse zugunsten der extremen Rechten der letzten Zeit drehen können: Wenn alle dort wählen dürften, wo sie leben, dann würde mitnichten – um eine Lieblingslüge der BSS vorwegzunehmen – die einheimische Bevölkerung ersetzt; es würde nur die unausgesprochene Apartheid beendet.
Dass diese neuen Wahlbürger dann allerdings überhaupt wählen, ist nicht ausgemacht. Ich dachte in diesen Tagen von Clintons Niederlage an eine Anekdote, die mir eine bolivianische Freundin erzählt hat. Das indigene Haus-„Mädchen“, das sie aufgezogen hatte, war ihr erwachsenes Leben lang wahlberechtigt gewesen. Aber die erste Abstimmung, an der die inzwischen reife Frau teilnahm, war die, bei der Evo Morales antrat: Welche Wahlversprechen die vorherigen Kandidaten auch immer im Angebot gehabt hatten – für die Frau war ausgeschlossen, dass dabei ihre Interessen verhandelt würden.
Es geht also durchaus um Personen – und ich kann nicht so tun, als wüsste ich, wie man das Dilemma der Identität auflöst. Ich glaube, dass es genug Anfang wäre, wenn der grundsätzlich politisch-moralische Kompass der Spitzenkandidaten linkspopulistischer Politik nicht in Zweifel gezogen werden kann: Das war bei F. D. Roosevelt so wie auch bei Willy Brandt – um den Bogen des sozialdemokratischen Reformzeitalters zu spannen.
Orakeln statt anpacken
Linkspopulistisch: Denn es ist ja schon arg, wie viel derzeit über die Krise der liberalen Ordnung orakelt wird, anstatt Wesentliches schlicht anzupacken. Also eine Rente, von der man im Alter in Würde und als teilnehmender Staatsbürger leben kann, ein Gesundheitssystem, in das alle einzahlen, ein Bildungssystem, auf das alle stolz sind, eine Arbeitswelt, die nicht von Erniedrigung, Monotonie und Angst beherrscht wird.
Dass dies im Rahmen des Bisherigen nicht zu machen sein wird, wurde mir klar, als ich den Facebook-Post eines geschätzten, einst linken Journalisten las, der schrieb, in den kommenden Jahren werde es vor allem darum gehen, „die liberale Ordnung vor dem Zusammenbruch zu bewahren“.
Wenn sich die liberale Ordnung nicht reformiert, dann wird dieser Zusammenbruch nur mit illiberalen Mitteln zu verhindern sein – was dann eben nur ein anderes Ende der liberalen Ordnung wäre. Und bitte nicht vergessen: Das einzig Schöne an Mittelalter-Rollenspielen ist die heiße Dusche danach.
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